Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Monat: Januar 2025

Unwägbare Melancholie – Gedanken zu zwei Songs über eine hohe Regen-wahrscheinlichkeit

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Auf der Rückfahrt von einem sonnigen Winterspaziergang im Erzgebirge hörte ich im Autoradio das Lied Regenwahrscheinlichkeit 100% von Michel van Dyke, der schon fast 40 Jahre im Musikgeschäft tätig ist. Als Teenager kam er aus den Niederlanden nach Deutschland, wo er sich dann auch niederließ. Von ihm hatte ich noch etwas gehörteindeutig ein Versäumnis.  Sein Album Bossa Nova, bereits 2005 veröffentlicht, verrät das Genre dieses Liedes, das vom Text her nicht besonders leicht verständlich ist:

„Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen muss“ als letzte Liedzeile bleibt neben dem Titel im Kopf. Die Melancholie des Liedes kann nur eine alles andere als romantische Stimmung widerspiegeln: „seltsam vertraut“, „irgendwie diffus“ sind Zuschreibungen, die eindeutig Ambivalenz ausdrücken.  Nähe und Distanz halten sich die Waage.  Immerhin hat die Liebesbeziehung, von der die Rede ist, eine tiefe Krise überstanden. Ob sie ein gutes Ende nehmen wird, bleibt natürlich offen. Die 100% drücken definitiv eine gewisse Sicherheit aus, was die Prognose anbetrifft. Mit anderen Worten: Vollkommen uneindeutig ist die Stimmung nicht.

Das vom Grafikdesigner mit dem Künstlernamen geboren thielsch gestaltete Album (ab den späten 90er Jahren bekannt unter dem Namen Walter Welke; davor unter Walter Thielsch) kann man jedenfalls ironisch betrachten, da auf dem Cover nichts auf Regenwahrscheinlichkeit hinweist. Auch hier halten sich das Artifizielle und das Natürliche die Waage: Das Motiv zog mich sofort in den Bann, auch weil das auf den ersten Blick außergewöhnliche Landschaftsmotiv, das ein bürgerlich eingerichtetes Wohnzimmer als Ausblick zu bieten hat, als starker Kontrast zum Interieur wirkt.  

Michel van Dyke: Bossa Nova
Albumcover von “Bossa Nova”, gestaltet von geboren thielsch; Interpret: Michel van Dyke

Es wird explizit auf der Internetseite des 2011 verstorbenen Grafikers auf den „Sound  der Sechziger“ verwiesen, der kreativ neu aufgesetzt wird. Man hat den Eindruck, dass hier ein digitales Hörerlebnis nicht ausreicht, sondern die Hardware, also das Album als Produkt zum besseren Einhören einfach dazugehört.  Ganz ohne (mentale) Bilder kommt diese feinfühlige Musik jedenfalls nicht aus.

Bei Bossa Nova als seit den 1960er Jahren verbreitetem brasilianischen Tanz, gekoppelt mit einem deutschsprachigen Text, empfiehlt sich ein genaueres Zuhören. Der 4/4 Takt (oder handelt es sich um eine andere Taktart?) wirkt schleppend, dazu dieser sperrige Titel, den man ansonsten nur von Wettervorhersagen kennt, mit der Betonung auf den Silben „re“, „schein“, „Hun“ und „zent“.

Zum Vergleich hat die mit Jan Josef Liefers liierte Schauspielerin und Sängerin Anna Loos 2023 einen Disko-Fox-Song mit dem Titel Regenwahrscheinlichkeit in ihrem Album Das Leben ist schön veröffentlicht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Loos van Dykes Song kennt, da dieser mit ihrem Ehemann zusammengearbeitet hat. Der Song ist recht konventionell komponiert, wobei der Inhalt ebenfalls auf den dunklen Kontext der Liebesbeziehung abzielt, dessen Botschaft im Refrain recht klar ist:

Wir haben uns verlaufen / Sind nass bis auf die Haut / An all den dunklen Tagen / Wächst die Regenwahrscheinlichkeit.

Selbst wenn dunkle Wolken aufziehen/ und uns das Wasser bis zum Hals steht / Dann soll es so sein /Es geht schon wieder vorbei / mit der Regenwahrscheinlichkeit.

Die erlebte und gefühlte Distanz zueinander soll überwunden und schließlich die „Wolkenwand“ durchbrochen werden. Die letzte Refrainzeile kann mich jedoch nicht überzeugen: Warum und wie sollte eine Regenwahrscheinlichkeit vorbei gehen? Wie kann ein Phänomen auf 0% gedrückt werden?

Allgemein freut es mich, dass Regenwahrscheinlichkeit als Begriff im Zeitalter von häufig abgerufenen Wetterradardaten Hitpotenzial hat. Oft ist auch die Wetterküche unvorhersehbar; und Regen kann nicht per se als negativ interpretiert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Sonne in naher Zukunft wieder scheinen wird, liegt jedenfalls auch bei 100%.

Übrigens lohnt sich auch der Song Neu in dieser Stadt aus van Dykes Album. Hier wird mit einem eingängig komponierten Soundteppich die Melancholie auch ohne Präsenz des Textes vergegenwärtigt. Das Album ist in geringen Stückzahlen gebraucht auf verschiedenen Plattformen erhältlich, z.B. auf rebuy.

Hamm – Understatement mit Charme

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Grüßt euch!

Da sind wir wieder. Nach einer längeren „Abstinenzphase“ folgt mal wieder ein kleiner Bericht über unseren letzten Urlaub.

Dieses Mal zog es uns ins beschauliche, auf den ersten Blick wenig spektakulär wirkende Hamm. Aber, wer jetzt denkt: Wo bitte liegt denn das? Was wolltet ihr denn da? Dem sei gesagt: Wir entführen euch gerne ins Hammer Städtchen und dem liebevoll gestalteten, familiengeführten Tiny-House-Hotel Pier 9. Also, seid gespannt und freut euch auf unsere kleine, gemeinsame Reise.

Gemeinsam mit unseren beiden Tiny-Hündchen verweilten wir zum Jahresausklang 2024 auf 17qm Wohnfläche; wahrlich eine Bewährungsprobe, auch für die eigene Zweisamkeit. Aber keine Sorge; wir sind uns nicht all zu oft gegenseitig auf die Füße getreten! 😉

Nach einer langen, teils für mich recht Nerven aufreibenden, da teilweise sehr nebligen Autofahrt, (dank Inversionswetterlage!) trafen wir am Freitagabend im Tiny-House-Hotel ein.

Unser kleines Urlaubsreich – Das Tiny-Haus Bigge

Thomas kümmerte sich nach einer kurzen „Verschnaufpause“ um unser leibliches Wohl, während ich mit dem Auspacken und „Verräumen“ beschäftigt war.

Nachdem wir uns also in unserem Tiny-Häuschen erfolgreich eingerichtet hatten, ging es für uns wieder einmal auf eine kleine Entdeckungstour.

Am Datteln-Hamm-Kanal entlang genossen wir tags darauf einen erholsamen Spaziergang, der uns zum Kurpark führte. 

Spaziergang am Datteln-Hamm-Kanal

Am Sonntag kamen wir am Schloss Heessen vorbei (eine nahezu real gewordene Hommage an Schloss Hogwarts und ja, tatsächlich ein Internat; ob hier vielleicht wirklich kleine Zauberer ausgebildet werden!? ). 😉

Anschließend fuhren wir dann ins Gustav-Lübcke-Museum, in der auch eine Ausstellung lokaler KünstlerInnen aufwartete sowie eine Arthotek, also eine Möglichkeit, sich Kunstwerke auszuleihen. Ein erfolgreiches Konzept, wie man uns auf Nachfrage hin, versicherte und sicherlich für diejenigen sehr reizvoll, die ihrem Zuhause durch wechselnde Bilder immer wieder eine neue Nuance verleihen möchten.

Blick in den Eingangsbereich des Gustav-Lübcke-Museums

Beim späteren abendlichen Flanieren über den Weihnachtsmarkt entdeckten wir das Haus des Döners. Ich dachte dabei zunächst an ein Museum zur Kulturgeschichte des Döners und an das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei von 1961. Tatsächlich handelte es sich dabei aber wirklich um ein Döner-Restaurant. Vermutlich wollte man hier dem Genitiv besondere Ehre erweisen; sehr charmant! 😉

Das Haus des Döners
Kleine Impression vom Hammer Weihnachtsmarkt

Nachdem wir uns im Westend leckeren Kuchen und Waffel gönnten, suchten wir für den größeren Hunger das Sissi und Franz auf. Dort standen nicht etwa Pommes Frites (oder, wie man auch hätte schreiben können; Pomm Fritz) auf der Karte, sondern Pomm Franz oder Pomm Sissi; ein Hoch auf die Wortspielerei! 🙂

Gemeinsam mit der Familie besuchten wir am Montag den Hammer Tierpark, bei dem wir zum ersten Mal ein Fossa zu Gesicht bekamen. Kleine Randnotiz: Fossas stammen aus Madagaskar und gelten als gefährdete Tierart. Mehr Informationen dazu findet ihr u. a. auf der Seite des Hammer Tierparks

Nach einem kleinen Abstecher ins R-Cafe gönnten wir uns einen sportiven und zugleich entspannten Abend im Maximare. Balsam für Körper und Geist; zumindest für Frau, denn es war kein Platz für die Männer mehr in der Sauna frei an dem Tag (Stichwort: Damensauna). 😉

An der Bahntrasse vorbei, entlang eines kleinen Wohnviertels führte uns unser Weg am Dienstag vorbei an der Lippe, über den Deich, vorbei am Hafen, zurück in die Stadt.

Kleiner Spaziergang entlang der Lippe

Ein Besuch des Maxiparks durfte an diesem Tag natürlich auch nicht fehlen. Ich wollte unbedingt den „Elefanten” sehen und freute mich, wie eine „Schlosskönigin” über jeden Elefanten, den ich in der Stadt entdecken konnte. Die Hammer waren hier sehr kreativ. Neben Skulpturen fanden sich auch Hecken, die einem Elefanten nachempfunden wurden und passend zur Zeit eine Weihnachtsmann-Mütze trugen; einfach entzückend.

Doch den besten Lacher verschaffte mir eine Mitarbeiterin am Einlass mit den Worten: „Sie wissen schon, dass Sie hier im Winter gelandet sind und alles zu ist. Mehr als ein Spaziergang wird es nicht!”. Diese herrlich ehrliche Aussage brachte mich so zum Schmunzeln. Das war Understatement at it‘s best auf so eine authentische und gleichzeitig so humorvolle Art, dass ich der lieben Mitarbeiterin einen guten Rutsch wünschte.

Das Wahrzeichen der Stadt Hamm – Der Glaselefant im Maximilianpark

Ein katholischer Sonntags-Gottesdienst im Zeichen des Regenbogens in St. Agnes mit George Winstons „Carol of the Bells”, gespielt auf einem Flügel sowie ein musikalischer Jahresausklang in der Liebfrauenkirche, bei dem ich erstmalig ein Orgelportativ, also eine tragbare Mini-Orgel zusehen bekam, rundeten unseren Besuch ab. In St. Agnes gab es zudem zwei sehr modern interpretierte Krippendarstellungen zu bestaunen.

Moderne Krippeninszenierung in St. Agnes

Von der Kissinger Höhe genossen wir kurz vor unserer Heimreise bei sonnigem Wetter einen herrlichen Blick über die kleine Stadt am Rande des Ruhrgebiets und verabschiedeten uns nach einem Spaziergang durch den Lippepark von Hamm.

Blick hinab über die Stadt von der Kissinger-Höhe

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Rebecca Diekmann und ihr super freundliches und hilfsbereites Pier 9-Team. Wir freuen uns schon auf den nächsten Besuch im Tiny-House-Hotel in diesem Hammer Städtchen mit Understatement und Charme!

Also bis bald, ihr Lieben und wartet gespannt auf die nächsten Geschichten von unseren kleinen und großen Entdeckungen!

Das verborgene Netz-Werk: Über ein Gemälde von Remedios Varo

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Den Namen der spanischen Künstlerin Remedios Varo (1908-1963) werde ich bestimmt nicht mehr vergessen. „Remedios“ – Heilmittel – als Vorname, und dann noch im Plural!  Das erscheint einzigartig, gerade wenn er von Geburt an vorlag.

Auf einem Streifzug durch die Ausstellung Surrealismus und Magie. Verzauberte Moderne Ende Januar 2023, die im Potsdamer Museum Barberini gezeigt wurde, blieb mir unter anderen das Ölgemälde Tres destinos (Drei Schicksale) im Kopf. Varo malte es Mitte der 1950er Jahre und zeigt darin ihre Meisterschaft, die mich mehr anspricht als die eines Salvatore Dalí oder eines Max Ernst.

Tres destinos: Remedios Varo (1956)
Remedios Varo: Tres destinos (Drei Schicksale), 1956, Öl auf Masonit, Privatsammlung.

Im Ausstellungkatalog ist zu Remedios Varo besonders der Artikel „Okkulte Bildwelten. Leonora Carrington und Remedios Varo“ von Victoria Ferentinou auf den Seiten 215-237 lesenswert. Zum Gemälde Drei Schicksale,  auf der Seite 227 abgebildet, heißt es auf der Seite 219:

Im Vordergrund stehen drei hohe Türme mit spitz zulaufenden Dächern, die von mönchartigen Gestalten in weiten grünen Gewändern bewohnt werden. Während die Figuren in ihre spirituelle Arbeit versunken sind und vollkommen isoliert voneinander scheinen, symbolisieren transparent leuchtende Seile ihre kosmische Verbundenheit und deuten darauf hin, dass sich „ihre Lebenswege eines Tages kreuzen werden“, wie Varo selbst zu ihrem Bild vermerkte. Indem die Seile mit einem strahlenden Himmelskörper verbunden sind, weist die Ikonographie auf die Ambivalenz zwischen freiem Willen und göttlicher Vorsehung hin und greift zugleich den Gedanken einer Analogie zwischen Mensch und Universum, Mikro- und Makrokosmos auf.

Der bei Varo zu entdeckende Okkultismus „als eine Art Geheimwissenschaft, die sich mit vermeintlich übernatürlichen Kräften und Phänomenen befasst und eng mit dem Glauben an die Magie verbunden ist“ sowie die Magie als „eine Praxis, die darauf abzielt, übernatürliche Kräfte für menschliche Zwecke dienlich zu machen“ stehen mir eigentlich nicht nah. Mir scheint, dass es vor allem das Motiv ist, das mich in den Bann zog. Diese drei Schicksale, auf der Leinwand festgehalten, sind durch ein feines Netz-Werk miteinander verknüpft. Was in der Wirklichkeit oft als Netzwerk recht pauschal bezeichnet wird, erscheint hier auf unglaubliche Weise plastisch. Wir können nicht ergründen, was die drei abgebildeten Personen inhaltlich verbindet, doch es reicht, wenn Nähe und Distanz eine merkwürdige Symbiose eingehen: Einerseits diese Isolierung in den drei Hütten, andererseits das Zusammenspiel über das Gewebe. Der altmeistliche Farbauftrag  lässt nicht automatisch an das 20. Jahrhundert denken, ebensowenig wie die drei Figuren, die alles andere als flüchtig dargestellt sind. Geometrische Strukturen zeigen eine Welt zeitloser Präzisionsarbeit; und auch die Vorgänge in den drei Türmen lassen ein Zeugnis der geistigen Sammlung erkennen. Eine Feder, ein Pinsel und ein Glas sind als Werkzeuge sichtbar; schreiben, zeichnen, sinnieren sind meine Assoziationen zu diesen Objekten. Es entsteht vor dem inneren Auge ein Ruhepol, das zu kontemplativem Betrachten einlädt. Die Seile bilden einen Mechanismus ab, der keinen rationalen Erwägungen folgt und deswegen umso mehr faszinieren kann, ebenso wie eine Apparatur, die man nicht ganz in ihrer Funktionsweise durchschauen kann. Insofern kann jeder Betrachter hier auch über nicht vollständig erklärbare Vorgänge aus der realen Lebenswelt nachdenken.  Er fügt seine Erfahrungen als Bewohner ein, die auch von merkwürdigen Beziehungen zu anderen Menschen zeugen. Was verbindet Stadt-Menschen? Irgendein Werk, bei dem wir auf das Wirken anderer angewiesen sind, lässt eine Trennung zu anderen durch Mauerwerk weniger rigide erscheinen. Es lässt sich oft nicht genau ergründen, wer an einem bestimmten Ergebnis mitgewirkt hat, da die zuvor stattgefundenen Vorgänge nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. So wie ein Ergebnis eigentlich mehrere Ergebnisse umfassen, besteht ein Vorgang aus Vorgängen. Das Ganzheitliche lässt sich nur mit dem Partiellen herleiten – so wie drei Schicksale an einem Strang, ausgehend von einer höheren Macht, ziehen (müssen).  

Die kurzen Zitate zu Magie und Okkultismus habe ich dem Glossar von Helen Bremm im Ausstellungkatalog entnommen, der im Prestel Verlag erschienen ist (auch eine englische Ausgabe liegt vor, da die Peggy Guggenheim Collection auch an der Ausstellung beteiligt war).

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