Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Monat: November 2024

Wohl bekomm’s: Zwei Wort-Cocktails der besonderen Art

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Es war in einem Kassenbüro, als ich von einer Kollegin folgenden Satz hörte:„Wir sind nicht auf der Buttermilch dahergeschwommen“.  Obwohl der Kontext klar war, konnte ich so gut wie nichts mit dieser Botschaft anfangen. Das Nachfragen dauerte ein wenig; und auch als mir die Bedeutung verraten wurde, nämlich einen Vorgang oder ein Verhalten zu durchschauen, war ich perplex, da es sich zudem bei der Wendung um eine Variante handelt. Im Online-Wörterbuch Wiktionary ist es die Brennsuppe, auf der man daherschwimmt. Und weitere Recherchen zeigten, dass auf dem Thüringer Schulportal die „Wurstsuppe“ durchschwimmbar ist. Der „MDR Jump Wortinspektor“ hat dazu einen kurzen  Podcast erstellt, der allerdings ausschließlich auf die „einfachen, ungebildeten Verhältnisse“ verweist, die mit dieser Redewendung sprachhistorisch ohne Negation in Verbindung stehen. Brennsuppe, Buttermilch und Wurstsuppe gehörten ja zu den sogenannten Arme-Leute-Mahlzeiten dazu. Auch dort, wo sich die „Genussregion Oberfranken“ vorstellt, ist von diesem Hintergrund die Rede:

„Der ist nicht auf der Brennsuppe daher geschwommen“, gilt als sprichwörtliche Umschreibung einigermaßen solider Lebensverhältnisse. Auf der Brennsuppe schwamm demnach wohl derjenige, der sie auch aß, ein unbedeutender oder etwas beschränkter Mensch, der in relativ einfachen Verhältnissen lebte und sich mit einer schlichten Mehlsuppe zufrieden geben musste. Dennoch kann auch hier Schmalhans ein kreativer Küchenmeister sein und zaubert aus der schlichten Suppe einen schnell zubereiteten, würzigen Gaumengenuss.

Hier zeigt die Negation schön, dass der Sprecher bzw. die gemeinte Person sich in ein positives Licht stellen lässt. Und selbstverständlich kann dies auch in gutem Glauben an Personen ohne relativen Wohlstand gelten, wenn man sie zum Beispiel kochen lässt. Dass diese Wendung ebenfalls eine ausgereifte Interpretationsfähigkeit anzeigt, finde ich angesichts des sprachlichen Konstrukts höchst komplex. Denn es gibt keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen Wohlstand und Schlauheit bzw. spezifischen Erfahrungswerten. Offensichtlich gilt aber bei der Wendung: Wer zu mehr Wohlstand gekommen ist, besitzt auch eine höher entwickelte geistige Anlage.  

In Verbindung mit einem einfachen Getränk steht die komplexe Bezeichnung für ein Heilwasser der Marke Förstina, das ich kurz vor dem Totensonntag kaufte:

Das Förstina St. Maria-Brunnen Heilwasser enthält in seiner natürlichen Beschaffenheit pro Liter über 1.000 mg Kohlensäure und kann somit in Verbindung mit den weiteren Hauptbestandteilen als ein flouridhaltiger Calcium-Hydrogencarbonat-Sulfat-Säuerling bezeichnet werden.

Dieser „Säuerling“ mit drei vorgeschalteten Substantiven sowie Adjektiv scheint ein zu lang geratender Fachbegriff zu sein. Dem ist aber nicht so, wie mir mein Bruder telefonisch erklärte. Es ist ein „Trivialname“, was angesichts der Wortlänge erst einmal merkwürdig erscheint. Doch wer sich als Kunde mit Mineralwasser auskennt, der kann durch die angegebenen wesentlichen Bestandteile (natürlich im gelösten Zustand) die stoffliche Zusammensetzung gut einordnen und mit anderen Heilwasserprodukten vergleichen. Bei einem etablierten Fachbegriff wäre das womöglich nicht der Fall. Dass das Wasser schwach sauer ist, daran besteht angesichts des „Säuerlings“ kein Zweifel. Dass Wasser mit dem Suffix „-ling“ in Verbindung gebracht wird, finde ich nach wie vor amüsant: ‚Winzling’, ‚Fremdling’, ‚Neuling’, ‚Findling’ sind ja auffällige Gestalten bzw. Objekte, die sich vor dem Auge auftun. Wasser ist prinzipiell unauffällig und schwer zu charakterisieren.

Ganz sicher: Ich werde in der Zukunft kein Lebensmittel mehr zu Hause haben, das mit so einem Wortungetüm in Verbindung gebracht werden kann.  Hingegen nehme ich beide Wort-Cocktails gerne in meinen Wortschatz auf, in der Gewissheit, dass ich so schnell nicht wieder auf sie stoßen werde. Sollte ich von ihnen noch einmal hören, werde ich noch am gleichen Tag darauf anstoßen, am liebsten mit demjenigen, der diesen Wort-Cocktail wieder aufgetischt hat!

Parkplatz mit Blütenpracht – Eine Alltagsbeobachtung

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Im Mai diesen Jahres staunte ich viele Tage über die in der Stadt blühenden Rhododendren. Diese gewaltigen Büsche, die sich zu einem wahrhaftigen Blütenmeer verwandelten, verzauberten den urbanen Raum, weil sie sich so geschickt an und zwischen bebaute Flächen ansiedeln (lassen). Natürlich ist das Verb „ansiedeln“ unpassend; „anpflanzen“ wäre korrekt. Doch ein Foto aus unmittelbarer Nachbarschaft zeigt, wie sehr ein Busch einen Parkplatz in Beschlag nehmen kann:

Viel ist über Aura kulturphilosophisch gesprochen worden. ChatGPT berichtet mir folgendes unter „literarisch-ästhetischer Kontext“:

Der deutsche Philosoph Walter Benjamin prägte den Begriff Aura in seiner ästhetischen Theorie und bezeichnete damit die einzigartige Ausstrahlung oder den besonderen Charme eines Kunstwerks oder einer Person. (…) Die Aura ist also eine Art magische Qualität, die schwer zu greifen, aber spürbar ist und ein Kunstwerk oder eine Person besonders macht.

Für mich hat jener banale Parkplatz, bei dem ich erst nach wiederholtem Nachdenken und Betrachten des Fotos zu dem Schluss komme, dass er für den Zahnarzt höchstpersönlich reserviert ist, da der eindeutiger mit dem Schild „Zahnarztpraxis“ ausgewiesene Parkplatz nebenan in erster Linie für Patienten dieser Zahnarztes bestimmt sein muss (ohne vollkommen eindeutig zu sein, da auch Praxismitarbeiter gemeint sein könnten), etwas Auratisches während der Rhododendronblüte. Der farbenfrohe Dekor scheint sowohl dem Stellplatz als auch dem Aufsuchen eines Zahnarztes bzw. seiner Praxis einen besonderen Charme zu verleihen. Möge der Charme auch nur wenige Sekunden spürbar sein, er lässt sich für mich als Betrachter, der eben diesen Parkplatz wohl nie nutzen wird, nicht leugnen.

Oft ist die Rede davon, dass man die Welt schöner machen solle. Ist dies hier nicht kraft der Natur der Fall? Ein Parkplatz, oft geschmäht wegen seines hohen Flächenverbrauchs, wird hier als solcher verschönert. Was der Mensch nicht vermag, besorgt die Natur.

Dass Parkplätze in Städten ein knappes Gut sind, versteht sich fast von selbst. Das sperrige Konzept der Parkraumbewirtschaftung wird vermehrt auch vor Verbrauchermärkten und Einkaufszentren umgesetzt. Auch in der Provinz wie zum Beispiel am Brückencenter in Hermsdorf-Bad Klosterlausnitz ist mir dies in diesem Herbst diesbezüglich aufgefallen. Spezielle Firmen, wie zum Beispiel die fair parken GmbH werden mit diesem Geschäft“ beauftragt.

Zu DDR-Zeiten gab es dieses Geschäft sicher nicht, weil Parkraum anders als die dort geparkten Fahrzeuge keine Mangel-Erscheinung war. So erscheint das Brettspiel Wir suchen einen Parkplatz, das in den 1960er Jahren vom VEB Spielewerk Karl-Marx-Stadt auf den Markt gebracht wurde, als Ausgeburt der realsozialistisch geprägten Fantasie realitätsentrückt. Dieses Spiel entdeckte ich bei einem Besuch des Deutschen Spielemuseum Chemnitz.  Ich erfuhr in dieser kleinen Spiel-Oase, dass Gesellschaftsspiele (anders als Spielzeug) in sozialistischen Zeiten kaum entwickelt wurde, zumindest, was das Gebiet der ehemaligen DDR betraf. Immerhin: Gewisse Ideen muss man nicht entwickeln; sie entstehen einfach in gewissen Köpfen des universellen homo ludens. Man merkt der Zielsetzung des Spiels an, dass sie die Parkplatzsuche des 21. Jahrhunderts vorwegnimmt. Man könnte auch sagen, dass die Mangelwirtschaft des Sozialismus unfreiwillig die Überfluss-Wirtschaft des Kapitalismus karikiert. 

An dem interessanten Parkplatzspiel können sich 4 Personen beteiligen. Jeder Spieler erhält 3 Autos, diese muss er auf einem Parkplatz unterbringen. Hat ein Spieler seine Autos auf einem beliebigen Parkplatz untergebracht, ist er Gewinner, und das Spiel ist zu Ende. Wer von den Spielern noch Autos im Spielfeld hat, zahlt für jedes nicht untergebrachte Auto die 5fache Parkplatzgebühr.

Dieses Würfelspiel ist gebraucht noch erhältlich. Wenn man bedenkt, dass man auch mit dem Vermieten von Parkflächen nicht wenig Geld verdienen kann, setzt es sozusagen alternativ die Monopoly-Spielidee um. Wer auf die Zukunft einer attraktiven Umgebung spekuliert, kann hier ganz gut ähnlich wie bei Monopoly sein Geld anlegen. Ob ein größerer Parkplatz sozusagen ein Platzhalter für zukünftige Immobilien ist? In nicht wenigen Fällen ist dies der Fall. Doch eins ist klar: Ein Rhododendron fühlt sich an einem geeigneten Platz in einem Park am wohlsten. Solange der Standort in einem Park stimmt, kann auch ein naher Parkplatz der Blütenpracht nicht schaden!

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