Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Monat: August 2021

Im hintersten Winkel der Republik: Über einen Kurztrip in die Oberlausitz

Von Westen aus gesehen ist für viele Urlauber jenseits von Dresden und der benachbarten Sächsischen Schweiz kein Platz mehr für Entdeckungen. Fernzüge aus Frankfurt enden allesamt in „Elbflorenz“. Die Region bis zur polnischen Grenze bleibt für viele Terra Incognita. Höchstens wird aufgrund der überragend restaurierten und denkmalgeschützten Altstadt Görlitz an der Oder erwähnt. Bautzen kenne ich vom Namen schon lange wegen des ehemaligen Stasi-Gefängnisses, das ich bereits 2009 auf der Durchreise besuchte.  Schon damals dachte ich mir, dass die Stadt zu Unrecht so unbekannt bzw. verkannt ist. Jedenfalls erscheint die Stadt „aufgeräumt“, wie man so schön sagt. Zittau ist wohl die entlegenste Stadt Deutschlands. Selbst von Dresden aus schafft man es garantiert nicht in einer Stunde, dorthin zu kommen. Wer sehr schnell unterwegs ist, braucht zumindest 90 Minuten. 2019 besuchte ich das benachbarte Zittauer Gebirge, das von der Silhouette eine besondere Aura ausstrahlt. Ich kenne kein Mittelgebirge in Deutschland, das sich so schön im wahrsten Sinne des Wortes abzeichnet. Die Linie, die den Kamm des Gebirges bildet, ist aus der Ferne so schön geschwungen, dass sie wie eine unverwechselbare Signatur daherkommt. Auch wenn die Erhebungen der Sächsischen Schweiz öfter auf Leinwände gebannt sein mögen, so ist der hinterste Winkel Deutschlands lauschiger und geheimnisvoller. Besondere Felsformationen gibt es dort übrigens auch.  Dass der höchste Gipfel (793m) des Zittauer Gebirges Lausche (tschechisch: Luž) heißt, ist dabei eine schöne Pointe.  Seit dem Sommer 2020 gibt es auf dem Gipfel auch einen beachtlichen Aussichtsturm. Die im Gebirge gelegenen Orte Oybin (mit ehemaliger imposanter Burg- und Klosteranlage) und Jonsdorf könnten gewiss einen Bildband füllen, bestehend aus den regionaltypischen, dekorativ aussehenden Häuserfassaden. Für touristische Highlights der Region verweise ich gerne auf einen Reiseblog.

Als Übernachtungsmöglichkeit empfehle ich den Gutshof Schirgiswalde, der all das bietet, was man für einen Kurzurlaub braucht. Ein junges, dynamisches Team, das den Austausch der Anonymität vorzieht, bietet dort seit 2020 elf Ferienwohnungen unterschiedlicher Größe an. Zum Entspannen gibt es draußen und drinnen mehr als genug Platz. Pferdestall und -koppel nebenan erlauben überdies wertvolle Begegnungen zwischen Menschen und Tier. Dieser Rückzugsort kann auch als „Location“ herhalten: Ein Hochzeitspaar erzählte mir, dass es tags zuvor auf dem Gutshof gefeiert und die ganze Festgesellschaft vor Ort untergebracht habe, was in der Region nur an wenigen Unterkünften möglich sei. Der Frühstücksraum ist in der Tat ideal für größere Veranstaltungen, ohne dass gleich von Events die Rede sein muss.

Gutshof Schirgiswalde
Gutshof Schirgiswalde, von der Einfahrt aus gesehen.

Schirgiswalde ist neben seiner idyllischen, hügeligen Lage mit dem auffallenden Eisenbahnviadukt und den malerisch in ihre Umgebung eingebetteten Sakralbauten auch ein strategisch günstiger Ort, da man von dort leicht in alle Richtungen (eine knappe halbe Autostunde südlich von Bautzen) kommen kann. Sehenswert ist auch im Hinblick auf die immer noch bestehenden Tagebauaktivitäten im nördlichen, flachen Teil der Oberlausitz die Energiefabrik Knappenrode, wo bis in die 90er Jahre Briketts hergestellt wurden.

Schirgiswalde
Schirgiswalde von oben (Panoramablick)


Zum Schluss noch ein kulinarischer Tipp.  Ca. 3 km entfernt gibt es in Sohland an der Spree direkt an der B98 das „Brauhaus am See“, das mit „Zippel-Bier“ aufwartet. Von Donnerstag bis Sonntag ist es geöffnet. Wenn man bedenkt, dass es weit ab von wirklich großen Ortschaften liegt, zählt es auf Laufkundschaft auch von weither. Möge das Unternehmen ein glückliches Händchen haben!

Vielen Dank an den Gutshof Schirgiswalde für die eine oder andere wertvolle Information und natürlich die Gastfreundschaft. Mehr Informationen zu dieser außergewöhnlichen Unterkunft sind in einem anderen Blog zu finden.

Wenn der Liebesschmerz zum Notfall wird: Gedanken zu „Herr Amor“ von Laing

Es gehört schon eine gewisse Kunstfertigkeit dazu, die Antike motivisch mit dem 21. Jahrhundert zu verbinden. Nicola Rost hat mit ihrer Formation Laing in ihrem gewitzt-unterkühlt vorgetragenen Song „Herr Amor“ diese Brücke geschlagen, indem sie den Liebespfeil des Gottes Amor einer Liebesfirma – man könnte auch an eine kommerzielle Partnervermittlungsagentur denken – andichtet.

Im Grunde fußt der Liedtext auf einer Kündigung, die das lyrische Ich
(wohl eine Dame) an den Geschäftsführer Herrn Amor schreibt. Ein Mitarbeiter, so der Vorwurf, habe ihren Freund mit seinem Pfeil angeschossen, so dass er nun „schwer verliebt“ sei. Doch der Pfeil traf nur ihn, nicht aber das Ich, das zwar „unverletzt“, aber auch unzufrieden mit der Dienstleistung von Herrn Amors Firma ist. Der Freund könnte nämlich ihr Partner werden, denn „eigentlich würd er ganz gut passen“. Doch den Liebespfeil einfach nur auf den Mann zu schießen hat Schmerzen und das Bedürfnis nach Heilung zur Folge.

Das Vokabular des Lieds parodiert in gewisser Weise bürokratische Umgangsformen zwischen einem Antragssteller und einem Antragsempfänger. Ein „Führungszeugnis“ liegt dem „Antrag“ an einen telefonisch nicht erreichbaren „Zuständige(n)“ in „Druckbuchstaben“ bei, der zum Ziel hat, den „Anbieter“ zu wechseln, da zumindest ein „Mitarbeiter“ von Herrn Amor fehlenden „Sachverstand“ aufweise. Dass man eine „Notfallnummer“ wählen kann, um zur „Entliebesabteilung“ zu geraden, zeigt schön, wie ambivalent hier das Konzept Liebe behandelt wird. Das Schwer-Verliebt-Sein als Notfall zu betrachten istschon an sich starker Tobak, gerade wenn der Schmerz eher noch verstärkt wird, wenn das Gegenüber nicht leidet. Im Grunde wird hier ein Unternehmenszweck gründlich gegen den Strich gebürstet, weil er sich wahrlich als Schadenverursacher entpuppt und nicht als Nutzenstifter. In der Wirklichkeit gäbe es hierzu sicherlich einige spannende Analogien zu ziehen.

Mehrdeutigkeit im Lied ist etwas Wunderbares, gerade wenn man bedenkt, dass in der Wirklichkeit Liebesbeziehungen über eine Vermittlungsagentur zu Anfang asymmetrisch gebildet werden. Individuell werden Personen vorgeschlagen, mit denen man Kontakt aufnehmen soll. Es ist daher selten, dass zum gleichen Zeitpunkt die Kontaktaufnahme auch von der jeweils anderen Person kommen könnte. Die Vorstellung, dass es gut passen könnte, basiert oftmals also erst einmal auf einer individuellen Wahrnehmung, so dass der häufig romantisierte coup de foudre wie bei einem realen Zusammentreffen im Grunde meist nicht vorliegen kann.  Es ist selten, dass es beim ersten Zusammentreffen auf beiden Seiten „funkt“, wie es so schön heißt. Hohe Matching-Punkte in Bezug auf eine andere Person zu vergeben hat eben nichts mit einem Köcher voller Liebespfeile zu tun, die ja ihre Wirkung gezielt erreichen sollen. Schließlich wünscht man sich nichts mehr als Passgenauigkeit bei der zu gelingenden Partnersuche, nicht nur im Hinblick auf den möglichen Partner bzw. die Partnerin, sondern auch in gewissem Maße von der Vermittlungsagentur, die ja aufgrund von „Matching-Punkten“ in die Auswahl eingreift und damit gegen Bezahlung entscheidenden Einfluss ausübt. „Fehler“ bei der Berechnung sind natürlich nicht ausgeschlossen, nicht nur in der Firma von Herrn Amor. 

Natürlich wird nicht jeder bei diesem Song an das Thema Partnervermittlung denken. Man könnte auch auf den Gedanken kommen, dass im Song das Dienstleistungsunternehmen Liebe nur „produziert“ und damit erst verfügbar macht. Diese gruselige Vorstellung führt mich zu folgender Frage: Inwiefern kann eine Person Liebe spüren, ohne von einem im wahrsten Sinne des Wortes liebeswürdigen Menschen in Beschlag genommen zu werden? Wir erinnern Szenen, in den wir uns verliebt haben, doch unser Leben fängt mit der Kindesliebe an, deren wertvollste Augenblicke im Vergessen liegen.

Rust tritt teils solo, sondern mit der Formation Laing auf, die Gesang mit Tanz verbindet.  Der Song „Herr Amor“ kann hier angehört werden; ein Interview aus dem Jahre 2015 mit der aus Mannheim stammenden und in Berlin lebenden Sängerin findet sich online im Tagesspiegel. Hörenswert ist auch ein Podiumsgespräch mit Nicola Rost und Jovanka von Wilsdorf zum Thema Songwriting aus dem Jahre 2019. Das dazugehörige Album Paradies Naiv aus dem Jahre 2013 gibt es unter anderem  beim Label Universal zu kaufen, auf der Homepage von Laing gibt es (noch wenig) Informationen zu weiteren Auftritten.

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