Im Schleudergang

Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Matsch-Pfütze

Der kreiselnde Thomas

Aus der Nachrichten-Satire erfahre ich etwas über den Ernst des Lebens, über die ernsthafte Problematik, wenn man in einem gewissen Lebensalter ‚Thomas’ heißt. Bundesministerin Franziska Giffey, zum Weltfrauentag in einem signalorangenen Müllmann-Look auftretend, um zu zeigen, dass auch Frauen diesen Job übernehmen können, lässt sich am 15.03.19 in der heute-show zu einem Statement hinreißen, das auf eine ganz andere Berufsgruppe abzielt: „Also ich finde, wir müssen schon klar sagen, in den Vorstandsetagen, in Chefetagen der deutschen Unternehmen sind im Moment viel zu wenig Frauen. Fakt ist ja, die sechs Prozent Frauen, die da angekommen sind, mussten wahrscheinlich viel, viel mehr leisten als Männer, die da so nach dem Thomas-Kreislauf hingekommen sind. Wir haben ja mehr ‚Thomas’ und ‚Michael’ in deutschen Chefetagen als Frauen.“ Zwischenfrage der Journalistin Hazel Brugger: „Sollte man seine Tochter ‚Thomas’ oder ‚Michael’ nennen?“ Antwort der Ministerin: „So weit würde ich nicht gehen, aber wir müssen den Thomas-Kreislauf durchbrechen“. Dabei denke ich zuerst an einen Witz. Doch dem ist nicht so.

Den Begriff Thomas-Kreislauf gibt es wirklich. Siehe da: Die deutsch-schwedische AllBright -Stiftung (hier scheint es dem Namen nach nur kluge Köpfe zu geben) nutzt es rege in einer Online-Publikation aus dem Jahre 2017. Die Studie wird so eingeführt: „Die Vorstände der börsennotierten Unternehmen in Deutschland sind durch und durch von Thomas geprägt: Herkunft, Alter, Ausbildung – die Führungsmannschaften sind extrem homogen und es wird rekrutiert, als sei nur der 53-jährige männliche deutsche Wirtschaftswissenschaftler Thomas in der Lage, an einer Unternehmensführung mitzuwirken“.

Das Motto, das den Kreislauf erst richtig fragwürdig macht, heißt „Rekrutieren oder Klonen“? Die als Kreislauf graphisch dargestellten Sinnelemente heißen „Thomas – Deutsch – Jahrgang 1964 – Betriebswirt / Volkswirt oder Ingenieur.“

Mit anderen Worten: Wenn möglichst viele dieser Elemente auf einen Kandidaten zutreffen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er die Vorstandsposition erhält. Wichtigstes Kriterium sei die „Passfähigkeit“ und nicht „objektivierende Auswahlmethoden.“ Der Vorname ‚Thomas’ scheint statistisch gesehen zur Passfähigkeit dazuzugehören, denn weiter heißt es: „So gibt es in den Vorständen von DAX, MDAX, SDAX und TecDAX mehr Personen, die Thomas oder Michael heißen (49), als es insgesamt Frauen gibt (46). Tatsächlich heißen 5 Prozent der Vorstandsvorsitzenden in Deutschland Thomas.“  So hat Franziska Giffey definitiv Recht, doch was besagt das Rechthaben? Statistik lässt sich plakativ deuten. Doch ich stelle mir die Aufgabe, man solle mal erklären, warum es sich hier um einen zeitunabhängigen Kreislauf handele, arg schwierig vor. Denn seit einigen Jahrzehnten ist der Name Thomas gar nicht mehr so beliebt – ein in dieser Hinsicht sehr relevantes Faktum. Der Kreislauf scheint schon aus diesem Grund gar nicht existent zu sein – oder wenn man gnädiger urteilt, ist er schon längst durchbrochen. Man kann das wohl erst dann nachvollziehen, wenn die Thomasse, die in den 1960er und 1970er Jahren geboren wurden, pensioniert werden. Das wird erst im nächsten bzw. übernächsten Jahrzehnt anstehen. Keine Sorge: Der Thomas wächst aus den Vorstandsetagen langsam aber sicher heraus. Ohne Statist zu sein, legen diese Behauptung die mir zur Verfügung stehenden Bordmittel nahe.

Wie gut, dass ich nicht in diese Berufsgruppen gesteckt werden kann, auch wenn ich Thomas heiße. Was populär ist, sollte erst einmal gewürdigt werden: Ein Hoch auf diesen, aus dem Aramäischen stammenden Namen, der übersetzt „Zwilling“ heißt.  Ein Name wird aufgerufen, der nur mit zwei Personen im Sinn entstanden sein kann.

Die zitierte Online-Publikation der AllBright-Stiftung ist hier zu finden. 

Der heute-show-Beitrag vom 15.03.2019 lässt sich hier aufrufen. Der erwähnte Beitrag kommt ganz zum Schluss der Ausgabe.

Der Graf und sein Schattenbild: Über Harry Graf Kessler (1868-1937)

„Kaum einer seiner Tage vergeht ohne Premiere, mondänes Frühstück, Vernissage oder Souper.“ Was denkt der Leser einer Biografie über solch einen Satz? Da muss jemand ganz schön abgefahren sein. In der Tat: Der Historiker Peter Grupp schreibt schonungslos über den Intellektuellen Harry Graf Kessler. Über einen Mann, der wie kaum ein anderer die Widersprüche der deutschen Geschichte zwischen 1870 und 1940 in sich vereint. Wenn man über ihn liest, wird man verstehen, dass selbst die ambitioniertesten Menschen mit außergewöhnlich hoher Bildung und kosmopolitischer Weitsicht mehrfach scheitern können, und zwar gewaltig. Ein Biograf hat nun mal die Aufgabe, auch über die Schattenseiten zu schreiben, nicht nur über Glanzlichter eines Lebens. Das tut mitunter weh, gerade wenn man an (künstlerische) Lebensläufe denkt, die glänzend darstellen (müssen).

Harry Graf Kesslers Tagebücher, die sich über fast einen Zeitraum von sechs Jahrzehnten abdecken, fielen mir schon bei meinem Großvater auf; dann las ich einige Bemerkungen über ihn in Julien Greens Tagebüchern; schließlich begegneten mir sie erneut in einer Weimarer Villa von Henry van de Velde, die noch nicht allzu lange für die Öffentlichkeit zugänglich ist (Haus Hohe Pappeln). Stets war ich angetan von Kesslers Kunst der Beobachtung. Und doch lehrt einem die Biografie: Intrigen, Beleidigungen und Spott waren Kessler nicht fremd. Er trat gerne nach, obwohl er lange ein Netz-Werk (14000 Kontakte an 4000 Orten sind belegt!) pflegte, um das ihn viele noch heute beneiden würden; er schacherte nach Posten, die er überhaupt nicht brauchte. Doch: Sein Machtinstinkt verlangte danach. Im Sinne einer Meinungsführerschaft, weniger einer politischen Führung. Oft hatte bei ihm das Ästhetische, zum Beispiel sein prestigeträchtiger Verlag Cranach-Presse, Vorrang vor dem Politischen. Das eine hatte mit dem anderen bei Kessler wenig zu tun: Seine Druckkunst war einer winzigen Elite vorbehalten. Leider gingen im 2. Weltkrieg viele wertvolle Materialien aus der Potsdamer Werkstatt verloren.

Es ist schwer zu verstehen, warum ein finanziell abgesicherter Mensch wie Kessler Kopf und Kragen riskierte und seinem Ruf schweren Schaden zufügte. Lag es am allzu hohen Ehrgeiz, der durch das häufige Scheitern eher noch angetrieben wurde? Eine Biografie holt eben noch mehr hervor, als der dargestellten Person lieb gewesen wäre. Zum Glück nicht so viel, dass der Glanz-Lack ab wäre. Kein Autor kann rütteln am „Amalgam aus Weltfülle und Zeitdiagnose, das Kesslers Journal zu einem einzigartigen Kaleidoskop macht für seine Epoche der Umbrüche und Paradoxien“, wie Oliver Pfohlmann im Deutschlandfunk meint und den Tagebuchschreiber nicht gerade charmant, doch anerkennend als „Treibhausgewächs“ und als „Videokamera auf zwei Beinen“ beschreibt (siehe Link). Ab dem 20.04.2019 wird nun das gesamte neunbändige Tagebuch im Klett-Cotta-Verlag erhältlich sein. Die wenigsten werden es kaufen, selbst wenn es irgendwann antiquarisch für weniger als 473 Euro (Neupreis) zu haben sein wird. Angeblich arbeitet das Marbacher Literaturarchiv an einer Online-Edition. Ein lohnenswertes Unterfangen, denn klar ist: Harry Graf Kessler gewährte mit seinen Tagebüchern schonungslose Einblicke in die „High Society“, deren Fragwürdigkeit wohl über alle Gesellschaftsformen hinweg zeitlos bleiben wird.

Zum Nachlesen:

Peter Grupp: Harry Graf Kessler. 1868-1937. Eine Biografie. C.H.Beck 1995 (später im Insel-Verlag nachgedruckt). Eine damalige kurze Rezension findet sich im Spiegel-Archiv.

Hier geht es zur Tagebuch-Edition von Klett-Cotta.

Aktuelle und äußerst kurzweilige Informationen über Harry Graf Kessler liefert der Deutschlandfunk in der Sendung Büchermarkt vom 20.01.2019.

Die doppelte Biederkeit. Eindrücke aus dem Robert-Schumann-Haus in Zwickau

Der biederste Ort, den ich kenne, steht in Sichtweite meines Bürofensters mitten in Zwickau. Es ist das Robert-Schumann-Haus. Klar, das im Originalzustand erhaltene Gebäude stammt aus der Zeit des Biedermeier, ebenso wie – zumindest teilweise – Robert Schumanns Musik. Doch eine Musik vermag es viel mehr als Architektur, sich von ihrem Zeitgeist zu lösen. Sie lässt die Zukunft erahnen, etwas was in keine (Musik-)Geschichtsschreibung so richtig passt.

Die Polonaisen für Klavier zu vier Händen, die ich am 03.06.2018 im Zwickauer Schumann-Haus hörte, sind also keineswegs bieder. Nein, es ist das Ambiente, das kaum biederer sein kann, und das ist beileibe nicht nur der Architektur des 19. Jahrhunderts geschuldet.

Es ist vor allem das dünn gestreute Publikum:  Der extrem hohe Altersdurchschnitt – so wirkte es für mich jedenfalls, ist das eine, das andere die Merk-Würdigkeit, dass ein älterer Herr just beim Abgang der Künstler als Autogramm-Jäger ohne Taktgefühl auf die Bühne sprang und erfolglos etwas begehrte, was am besten auf dezente Art erhältlich ist. Kurz zuvor wurden, ohne Vorstellung von richtigem Timing, zwei junge Kinder vorgeschickt, um den Künstlern ein Buch- und Blumengeschenk überreichen. Die armen Kinder! Sie konnten hier einfach keine bella figura machen.

Zuvor war der durchaus gelungene Klaviervortrag im Pausengespräch völlig ins Abseits geraten. Ich trat aus dem düsteren Foyer ins sommerlich strahlende Freie und hörte zugleich hinter meinem Rücken einen Gast sagen: „Das ist Zwickau!“ Da musste ich mich umdrehen – quasi ins Gespräch hineingrätschen – und fragen: „Was ist mit der Stadt?“ Lapidare Antwort: „Ich weiß es auch nicht!“. Was dann folgte, war eine Abrechnung mit den Mitarbeitern im Robert-Schumann-Haus, die sich gewaschen hat. Man fühle sich hier wie „auf dem Dorf“; die von mir angesprochene, dargebrachte musikalische Fantasie würde nicht auf die Menschen überspringen, der Hausherr ohne passenden Anzug würde „wie auf dem Campingplatz“ herumspringen. Ja, das Verb „springen“ kam zweimal in unterschiedlichen Ausprägungen vor.  

Es stellte sich heraus, dass hier kein „Wessi“ sprach, sondern ein Bürger aus der „sterbenden“ Stadt Aue, ca. 30 km südlich von Zwickau. Seine Gattin war im Ton etwas konzilianter, zumindest als ich entgegnete, dass man doch mit Ironie, Humor und Leichtigkeit gut in Zwickau zurechtkommen könnte. Da konnte sie nicht widersprechen.

Die Suada entzündete sich wohl daran, dass es keine Häppchen und keine Getränke gab. Eine Konvention, die nun mal das Schumann-Haus auch mal über den Haufen wirft. Das spricht nicht unbedingt für Biederkeit. Doppelt bieder erschien mir im Umkehrschluss die Tatsache, dass am Rande des jährlich stattfindenden „Robert-Schumann-Festes“ solche Töne angeschlagen werden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man das Geschehen rund um die Musik anderswo noch mieser bewerten kann. Und dabei hörte ich sicher keine Ausnahme, es war einfach eine Kostprobe, wie in unserem Lande vom Leder gezogen wird. Man muss ein bieder wirkendes Haus ja nicht in höchsten Tönen loben, doch Kulturschaffende haben so eine Tonlage einfach nicht verdient.

Ich muss an Thomas Bernhards Holzfällen denken, wo der Erzähler gemütlich im Foyer unweit einer Festgesellschaft in seinem Ohrensessel vom Leder zieht. Ja, das ist genau die Art des Verschanzens, um Salven unentdeckt abzufeuern, ohne damit eine Wirkung auf der anderen Seite zu bewirken. Einfach mal stoßfeuern, könnte man sagen. Es ist erschreckend, dass kleine Petitessen gleich so aufgeblasen werden. Wir leben in dieser Sicht in einem Land der Extreme: Entweder wird alles in den Himmel hoch gelobt, oder es wird abgrundtief gestänkert! Dazwischen gibt es noch allerlei Varianten. Vor allem auch welche, die alles anderes als bieder klingen. 

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