Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Matsch-Pfütze

Monat: August 2025

Zwischen (Farben-)Meer und Industriekultur

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Grüßt euch!

Wie versprochen, folgt hier nun endlich ein kleiner Bericht zu unserem letzten Sommerurlaub. Ich weiß, ihr könnt es kaum erwarten und ich hoffe, ihr habt nicht allzu lange darauf warten müssen?

Dieses Mal ging es mit unserer Betty (und ja, mein Auto hat einen Namen!) ins malerische und von zahlreichen Seen durchzogene Schweden. Monti und Phoebe durften dabei natürlich nicht fehlen und begleiteten uns fleißig auf unseren Wegen.

Doch bevor wir euch etwas von unseren dortigen Entdeckungen erzählen können, müssen wir zunächst einmal zurück an den Anfang gehen. Auf unserem Weg in Richtung Schweden hatten wir nämlich so einige Herausforderungen zu meistern.

Thomas, als der geborene Kartenleser half mir glücklicherweise dabei, die Staus und Baustellen, die uns unterwegs hätten ausbremsen können, weitestgehend zu umfahren. Das trieb, wie ihr euch sicherlich denken könnt, meinen Puls dezent in die Höhe, weil wir allerspätestens um 17.45 Uhr an der Fähre in Rostock sein wollten und Landpartien bekanntermaßen durchaus etwas länger als Autobahnfahrten dauern können. Sie bieten jedoch auch den Vorteil, eher einmal anzuhalten und sich in der Umgebung umzusehen. Doch auf unserer Hinfahrt war an Pausen kaum zu denken. Wie durch Zauberhand oder vielleicht doch eher Zauberfuß schafften wir es geradeso rechtzeitig zur Fähre, um dann vor Ort zu erfahren, dass die Fähre 20 Minuten Verspätung haben wird. Das konnte meine Freude über das rechtzeitige Erreichen des Check-In-Schalters dennoch nicht trüben.

Start der Fährüberfahrt in Richtung Gedser, Dänemark

Kurze Zeit nach Ankunft an der Fähre ereilte uns jedoch auch eine sehr traurige Nachricht. Wir hatten erfahren, dass unsere gemeinsame Freundin nicht mehr lebte. In den folgenden Tagen beschlossen wir, ihr Andenken in unseren Herzen zu bewahren; und für uns war es, als würde sie uns überall auf unserer Reise begleiten. In Malmö freute ich mich über jede Pride-Flagge oder in den Regenbogenfarben angestrichene Sitzbank. Überhaupt begleiteten uns überall Symbole, die wirkten, als wäre sie noch immer bei uns. Auch ihre Liebe zu Blumen spiegelte sich in den zahlreichen Farbmeeren der florierenden Gartenlandschaften wider, die wir unterwegs in Malmö und Jonsered besichtigten.

Kleine Impression aus dem Pildammsparken, Malmö
Auf dem Weg in Jonsereds hübsches, beschauliches Gartenreich

Natürlich ließen wir es uns nicht nehmen, bei schönstem Sommerwetter auch die Strände zu genießen. Thomas ließ sich dabei auch nicht von stärkeren Winden abhalten. Dass ich doch eher etwas wärmere Temperaturen bevorzuge, brauche ich wohl niemandem zu sagen.

Blick auf die Öresundbrücke

Eine ehemalige Schokoladenfabrik bildete unser Quartier für die ersten Tage. In Malmö entdeckten wir eine kleine Galerie; mit, wie sollte es auch anders sein; zum Teil recht extravaganter, nahezu avantgardistischer Kunst. Dort kamen wir auch mit der Besitzerin in ein sehr nettes und offenes Gespräch darüber, welche Stationen sie in ihrem Leben als Galeristin bereits durchlaufen hatte.

Museen waren während unseres Schwedenaufenthalts immer wieder Anziehungspunkte und Einkehrorte. Ebenso aber auch ein ehemaliges Kloster in Höör und eine kleine Galerie in Alingsås. Doch nicht immer brauchte es ein Museum, wenn doch eine ganze Stadt mit zahlreichen Skulpturen aufwartete, um Kunst zu bestaunen. So entdeckten wir in Malmö u.a. auch eine Skulptur des bekannten Künstlers Tony Cragg, der Einigen von euch sicherlich durch den Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal bekannt sein dürfte.

Blick auf die ehemalige Klosteranlage in Höör
Streetart in Malmö

In Hässleholm trafen wir dann unsere Familie, erkundeten Lund und konnten in Osby Zweiwegefahrzeuge bestaunen, die sowohl auf Straßen, breiteren Wegen und Gleisen fahren können.

In Värnamo machten wir das Vandalorum ausfindig; ein Design-Museum, dass sich einerseits der Malerei, aber auch der Fotografie, Architektur und Mode widmete. Sicherlich auch eine sehr empfehlenswerte Adresse für angehende Designer und Architekten.

Eine von Yoko Ono in Auftrag gegebene und vom schwedischen Maler und Bildhauer Carl Fredrik Reuterswärd realisierte und als The Knotted Gun weltbekannte Skulptur stach dabei in einer Miniaturversion aus Resin besonders ins Auge und verdeutlichte das noch heute gültige Credo: „Keine Gewalt!“; so wie auch ein weiterer Titel dieser Skulptur lautet. In Zeiten, in denen wir von immer mehr gewaltvollen Auseinandersetzungen erfahren müssen und mit dem Leid Unschuldiger konfrontiert werden, erscheint dieses Motto als wichtiger denn je. Niemals sollte Gewalt eine Lösung darstellen; vielmehr braucht es diplomatisches Geschick.

Die letzten Tage verbrachten wir dann in einer sehr schön eingerichteten Ferienwohnung in Töllsjö; etwa 45 Minuten von Göteborg entfernt. Dort machte ich das erste Mal Bekanntschaft mit einer Verbrennungstoilette und fragte mich, wieso ich ausgerechnet Cindy heißen musste (kleine Randnotiz; die Toilette trug den wunderbar, klangvollen Namen Cindi!).

Eindrucksvolle Kirchen und Kathedralen luden ebenfalls zum Bestaunen ein; u.a. auch eine deutsche Kirche in Göteborg, in der bis heute deutschsprachige Gottesdienste abgehalten werden.

Beachtliche Fabrikgebäude, wie die ehemalige Kaffeefabrik in Nääs oder die Markthalle in Göteborg begeisterten durch kulinarische, teils auch kunsthandwerkliche Besonderheiten. Dass unser Geldbeutel auf unserer Reise durch Schweden infolge der überaus formschön gearbeiteten Kunsthandwerke immer mehr schrumpfte, sei an dieser Stelle nur eine kleine Randnotiz.

Markthalle (Saluhallen) und Fischkirche (Fiskekyrkan) in Göteborg

Unsere Rückfahrt führte uns schließlich über das schwedische Falkenberg (Spoiler alert! Das Berliner Tierheim ist ebenfalls in einem Falkenberg ansässig!), in die deutsche Barlachstadt Güstrow, in der wir u.a. dessen Schwebenden Engel bestaunen konnten, der an die Opfer des Ersten Weltkrieges erinnern soll. Von dort aus ging es weiter in Richtung Havelberg und schließlich zurück nach Hause.

Kleine Verschnaufpause bei Kaffee und Kuchen in Havelberg

Nach ergiebigen und genussvollen knapp 2 Wochen Urlaub wollte ich eigentlich gar nicht mehr weg und freue mich auf den nächsten Schweden-Urlaub, der uns dann hoffentlich auch nach Stockholm führen wird.

Bis dahin dürft ihr euch auf weitere Geschichten von unseren kleinen und großen Reisen freuen.

Macht‘s gut und bis bald!

P.S. An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal ganz herzlich bei allen bedanken, die diesen Urlaub zu etwas Unvergesslichem gemacht haben. Vielen lieben Dank auch an das Hotel am Schlosspark in Güstrow, welches mit einem liebgemeinten Willkommensgruß aus Schmusedecke und Leckerei auch an unsere zwei kleinen vierbeinigen Begleiter gedacht hat.

Rundumschlag: Über den Roman „Ohrfeige“ von Abbas Khider

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Es hat sich gelohnt, gleich drei Romane von Abbas Khider gelesen zu haben. Genauer habe ich mir neben Brief in die Auberginenrepublik, wovon ich im Juli berichtete, Ohrfeige angeschaut. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Roman zum weitumspannenden Thema Integration viele in der Öffentlichkeit weniger beleuchtete Aspekte ans Tageslicht fördert.

Akustisch hallt der Text nach, gerade dann, wenn man beruflich mit Minderheiten in der Gesellschaft zu tun hat. Khider, von dem ich bereits in einem anderen Artikel berichtete, schildert darin missglückte Integrationsgeschichten, die in einem Zeitraum angesiedelt sind, in dem noch keiner von „Willkommenskultur“ sprach bzw. schwafelte. Kein Wunder, dass der Autor dieses Wort auch nicht verwendet, obwohl er es gekannt haben muss, als er 2016 diesen Roman veröffentlichte.

Nachdem Schlepper und Schmuggler den Erzähler Karim Mensy aus dem Irak Anfang um das Jahr 2000 herum nach Europa führten, kommt er nicht wie geplant in Paris, sondern in Dachau an, wo er von der Polizei über seine Herkunft befragt und kurzfristig in einer „Gefängniszelle“ untergebracht wird. Weitere Stationen in Deutschland sind als Zwischenstation eine Matratzenunterkunft in Zirndorf bei Nürnberg, ein Asylantenheim mit Vier-Mann-Belegung in Bayreuth (auf dem Gelände des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, wo auch Anhörungen zur möglichen Anerkennung des Asylstatus stattfinden). Da es so gut wie keinen Kontakt zu Bürgern gibt, ist es auch unmöglich, „in einer Stadt mitten in Oberfranken Deutsch zu lernen, indem man irgendwelchen Passanten zuhört und hier und da ein paar Vokabeln aufschnappt“. Wer nur „mit den Polizeibeamten oder mit dem Wachpersonal im Heim“ spricht, wird dies eigentlich nicht erreichen können. Die einzige Deutsche, die vor Ort positiv gezeichnet wird, ist eine ehrenamtliche Caritas-Mitarbeiterin mit dem Allerweltsnamen Karin Schmitt.

Karims Sozialkontakte häufen sich während des Aufenthaltes im Asylantenheim in Niederhofen an der Donau, wohin er mit vielen Mitbewohnern ohne Angaben von Gründen transferiert wird. Dort trifft er auch auf Frau Schulz, die ihm den Job auf einem Recyclinghof vermittelt. Anschließend bekommt Karim das Recht, im etwas außerhalb gelegenen Obdachlosenheim zu wohnen, wo er auch Leistungen vom Sozialamt erhält. Gelegenheitsjobs in einer Eisenfirma, einer Shampoo- und in einer Reinigungsfirma, von einer Zeitarbeitsfirma organisiert, folgen.

Die letzte Station in Deutschland, wo er sich „drei Jahre und vier Monate aufhält“, ist ein Obdachlosenheim in München, von wo er seinen ehemaligen Mitbewohner und Landsmann Salim in der Psychiatrie besucht. Karim lebt weiter in einer Schwarzmarkt-Welt zusammen mit seinem Arbeitsvermittler Abu Layla, der „akzentfrei Türkisch, Griechisch und Deutsch spricht“, sowie von seinem Chef Kostas aus Griechenland auf mehreren Baustellen, wo er sich dem Zugriff des Arbeitsamts entziehen kann. Mit einem Schlepper plant er schließlich nach Finnland weiterzuziehen, was der Leser am Anfang und am Ende des Romans erfährt.   

Drei Kostproben aus Ohrfeige zeigen, wie Frustrationserlebnisse in Worte gefasst werden können. Man kann sich überlegen, inwiefern sie auch in der Mehrheitsgesellschaft vorkommen können. Fehlende Anerkennung ist das Stichwort. Der unerklärte Status über Jahre hinweg macht auch deswegen betroffen, weil in vielen Fällen zumindest die Würde des Menschen angekratzt wird. Dies betrifft auch Rivalitäten und Auseinandersetzungen zwischen den Flüchtlingen, deren Ursachen in einer ungeklärten Rolle im Dasein liegen: es ist offenkundig so, dass ein Gastland wie Deutschland nur einige der vielen „verlorenen Seelen“ retten kann. Ohrfeige ist ein Buch, in dem diese Rettung gründlich misslingt.   

1. Tonfall

Viele Abschnitte des Romans sind in der Sie-Form (mit großem S) geschrieben, was ungewöhnlich ist. Angeredet wird über weite Strecken vom Ich-Erzähler Karim Mensy die Integrationsbeauftragte in der Ausländerbehörde (Frau Schulz), der er seine Lebensgeschichte vor der Flucht erzählt, in der ihn vor allem eine in Deutschland diagnostizierte „Gynäkomastie“ (Vergrößerung der Brustdrüsen) plagt:  

Sie, Frau Schulz, gehören zu jenen, die hier darüber entscheiden, auf welche Weite ich existieren darf oder soll. Stellen Sie sich einmal vor, in meiner Position zu sein. Würden Sie nicht gern wissen, wie diese gottesgleiche Figur mit Vornamen heißt? Jene Person, die Ihr Leben nach eigenem Gutdünken paradiesisch oder höllisch gestalten kann? […] Immer wieder fuchtelten Sie mit Ihrem spitzen Füller in der Luft herum, als würden Sie Fliegen erstechen. Und mit dem Gewicht Ihres übertrieben großen Stempels erdrückten Sie Hoffnungen. Wie der Hammer eines Richters krachte er auf Ihren Tisch. […] Ich war Ihnen ausgeliefert. Aber wie ein mythischer Held habe ich mich erhoben und den Olymp erstürmt. Und ich werde Sie bald zurücklassen in Ihrem kleinen Beamtenstübchen.

Diese Perspektive wirkt bedrückend, weil über eine gescheiterte Integration berichtet wird, was in den realen Dialogen zwischen Karim und Frau Schulz zuvor so nicht möglich gewesen wäre. Dies ist eine Stärke der Literatur, dass sie diese Innenschau über einen fingierten Monolog offenbart. Und nun frage ich mich als Leser, ob man die wirkliche Welt von Flüchtlingen, die ähnliche Integrationsversuche unternehmen, überhaupt begreifen kann. Man liest öfter von Duldungen und Abschiebungen, ohne genauer von jenen Einzelschicksalen zu erfahren. Viele reale Geschichten laufen im Verborgenen ab.

2. Spracherwerb

Auch das Deutschlernen ist eine harte Herausforderung, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen muss Karim hohe Hürden bei Zugangsvoraussetzungen von Bildungsangeboten in Kauf nehmen:

Ich sollte zwei Semester lang ein Studienkolleg besuchen, um das deutsche Abitur nachzuholen, bevor ich studieren durfte. Um die Zulassung zum Kolleg zu erhalten, musste man wiederum eine Prüfung ablegen. Um diese Prüfung schreiben zu können, brauchte ich allerdings ein Sprachzeugnis, nämlich die zentrale Mittelstufenprüfung des Goethe-Instituts. Also Kurse auf dem Sprachniveau A1-B2, mit Extravorbereitungskursen für die Prüfung im Goethe-Institut selbst oder in einer anderen Sprachschule. Die Vorbereitung auf die Zulassungsprüfung für das Studienkolleg würde so mindestens zwölf Monate dauern und ein Vermögen kosten.

Zum anderen wird mangels geeigneter Gesprächspartner die „BILD“-Zeitung als „perfekt zum Deutschlernen“ bezeichnet (bevor die für ihn unverständlichere Süddeutsche Zeitung zum Einsatz kommt). Neben der Sprachbarriere gibt es also Sprachlernbarrieren, die man nur schwer überwinden kann, wenn andere Ressourcen fehlen. Auch aus diesem Grund kann Integration gründlich misslingen.

3. Prekariat

Zuletzt kommt ein Beispiel aus dem Erwerbsleben. Folgende Passage las ich an einem Junitag, als ich zufällig wenige Stunden zuvor am Rande der Stadt einen Wertstoffhof aufsuchte, der als einer der isoliertesten Arbeitsorte gelten kann:

Der Wertstoffhof lag am Stadtrand. Es war ein großer Platz, umzäunt von Blechwänden. Darauf standen viele unterschiedliche Müllcontainer. In der Mitte des Grundstückes gab es einen Wohncontainer, in dem die Mitarbeiter ihre Pausen verbringen konnten. Eine kleine Küche und ein Klo gab es auch. Es war schwierig, mit den vier netten Angestellten auf Bayerisch zu kommunizieren, aber sie waren schon daran gewöhnt, mit Typen wie mir zusammenzuarbeiten. […] Ich sortierte Abfälle, Papier und anderes Zeug in den Container ein. Im Allgemeinen brauchte es für die Arbeit nicht viel Wissen. Ich musste nur ein paar Wörter und Sätze lernen, die ich dann ständig wieder verwendete: Wo soll das hin? Plastik oder Restmüll? Danke. Bitte. Hallo. Auf Wiedersehen. Aus diesen Bausteinen baute ich meine Sätze, ich recycelte und sortierte die Vokabeln genauso wie den Müll.

Gerade nach dem zweiten Lesen dieser Textstelle fühle ich mich betroffen. Denn ich wüsste genau, dass ich schon nach wenigen Tagen bei diesen Hürden in einem fremden Land  wahrscheinlich innerlich verzweifeln würde. Nun kann ich Geschichten vom Scheitern besser verstehen; und auch so eigene Misserfolge einfacher eingestehen.

Die längeren Zitate stehen auf Seite 11, Seite S. 152f und Seite 160. Auf der Homepage des Hanser-Verlags lässt sich das Buch bestellen.

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