Es gibt nicht viele Auftritte, bei denen der Ort des Geschehens und der Inhalt des (Gesang-)Vortrags so gut zusammenpassen wie jener von Line Bug (zusammen mit ihrem Partner Christian Gundtoft) im Garten des Kulturkinos Zwenkau.
Zwenkau liegt keine halbe Autostunde entfernt von der Leipziger Innenstadt. Mit dem Fahrrad lässt sich gut der Zwenkauer See erradeln. Die Fassade des Kulturkinos Zwenkau ist schon bei der Anfahrt ein echter Hingucker; von diesem Ort hatte ich noch nie etwas gehört, bis der mdr mich rechtzeitig auf diese sehr interessante Konzertveranstaltung aufmerksam machte.
Die beiden Künstler (zu zweit treten sie ganz einfach unter Linebug auf) sind vor einigen Jahren von Kopenhagen nach Zeitz ins südöstliche Sachsen-Anhalt gezogen. Natürlich fragen sich die meisten, warum sie diesen Schritt gegangen sind. Das Zwenkauer Konzert Mitte August beantwortete dies vor allem künstlerisch auf sehr überzeugende Art und Weise.
Die Songs sprühen vor Poesie, auch weil sie mit animierten Videos von Christian untermalt werden. Zu jedem Song zeichnete Christian zudem mit einem digitalen Stift auf die Leinwand die Namen der Orte, um die sich die Liedtexte drehen. Teils sind die Orte untergegangen, wie sie auch die Region rund um Zwenkau bezeugen kann, wo vor dem Braunkohletagebau bis in dei 1980er Jahre unter anderem die Ortschaft Eythra lag, teils laden sie zur Neuentdeckung ein, um verborgene oder vergessene Schönheiten wiederzufinden.
Beschreiben möchte ich näher Temporary Home ganz zu Beginn des Konzerts; dieser Song ist auch im Album Portraits of Invisible Places erschienen. Er handelt ausführlicher über Zeitz, genauer gesagt über die Wahlheimat von Line und Christian.

Nach wenigen Sekunden spüre ich diesen Gänsehautmoment des Live-Erlebnisses; es ist wie eine Gefühlsdusche inmitten eines lauen Sommerabends. Warum bin ich so sehr von dieser Musik bewegt? Sicher ist es die Kombination aus Gesang und dem dazu erstellten Video, das im Grunde kein Musikvideo ist, sondern ein Zusammenschnitt aus Drohnen- und Archivaufnahmen und darin eingestreute Zeichnungen und Collagen, die bewusst das Farbenfrohe und Unbeschwerte einbringen, auch um das Schwarz-Weiß von Gestern bunter wirken zu lassen. Die Musik vermittelt die gebrochene, aber nicht zerbrochene Schönheit von Zeitz, die sich anders darstellt als eine Touristenhochburg. Vergangenheit und Gegenwart des Ortes werden bildlich und gesanglich aufgesucht und in einen versöhnlichen Kontext gestellt: Die Hinterlassenschaften einer de facto versunkenen Zeit werden wundersam vergegenwärtigt. „Invisible“ könnte man hier mit „verborgen“ etwas freier übersetzen. Anstatt eine vorgetäuschte Nostalgie oder eher Wehmut nachzuahmen, geht es Linebug um die Sicht zweier Außenstehenden auf Zeitz. Herausgekommen ist eine „Hommage an alle Menschen, die im Laufe ihres Lebens in Zeitz gelebt haben“, wie es auf der Homepage heißt. Es ist sicher kein Mythos, dass zu DDR-Zeiten Zeitz (ähnlich wie vergleichbare Städte in Mitteldeutschland) belebter wirkte. Das lässt sich leicht erklären, lag doch die Stadt am Rande eines großen Braunkohlereviers und vieler Industrieanlagen, von denen nur noch wenige in Betrieb sind. Viele Arbeitskräfte wurden gebraucht, auch weil die Produktivität im Vergleich zu heute viel geringer war. Also ist die gefühlte Leere in Zeitz auch das Resultat tiefgreifender ökonomischer Veränderungen, die eben nicht nur Vorteile gebracht hat. Doch für Freiheitsliebhaber ist Zeitz womöglich die bessere Wahl als eine Großstadt mit vielen verzweifelten Wohnungssuchenden. Attraktivität lässt sich zum Glück nicht auf einen Nenner bringen. Auf jeden Fall ist Zeitz das Gegenmodell zu einer durchorganisierten Stadt. Für Traumwandler wie Linebug genau das Richtige!
Die Tourdaten von Linebug zeigen auch schön, dass sie auch in Westdeutschland und auch in den Niederlanden und Belgien gebucht werden. Es lohnt sich sehr, das gesamte Video zu Temporary Home anzuschauen.