Festpreise sind wir in ausgewachsenen Zivilisationen gewohnt. Wir vergleichen Angebote, Rabatte, und natürlich auch Preissteigerungen. Schnäppchenjäger sind wir bei aller Contenance doch geblieben. Hin und wieder gibt es auch hierzulande die Möglichkeit,  ein wenig zu (ver-)handeln und dabei sich noch als Sieger(in) zu fühlen. Und ganz gewiss gehört Verhandlungsgeschick zu gefragten Kompetenzen in manchen Stellenanzeigen. Der Satz „Das habe ich heute günstig geschossen!“, der (noch) nicht zu meinem aktiven Wortschatz gehört, zeigt doch den Jagdtrieb bestens!

So richtig spannend wird das so oft angesprochene Preis-Leistungs-Verhältnis jedoch erst dann, wenn es keine sichtbare Preisempfehlung gibt. Das ist genau dann der Fall, wenn eigentlich kein Geld-Leistungs-Austausch vorgesehen ist. Ich denke hier besonders an Grenzsituationen, wenn ein Geldbetrag so hoch wird, dass kein erwartbares, durchaus erwünschtes Trinkgeld mehr vorliegt, sondern ein Bestechungsgeld. Bestechung, die laut Wörterbuch der Deutschen Sprache „durch Geschenke zu einer unerlaubten Handlung verleiten“ soll, ist per se schwer feststellbar: Nicht jede Handlung lässt sich in klar in „erlaubt“ oder „unerlaubt“ einordnen; im Zweifelsfall beschäftigt sich dies Rechtsexperten. Es sind eher die Fälle, wo über eine großzügige Belohnung ein Vorhaben bzw. ein Wunsch realisiert werden muss.

Bleiben wir bei den Trinkgeldern, die Gunst und Anerkennung ausdrücken und wo keine perfiden Machenschaften dahinter stecken: Manchmal werden daraus publikationswürdige Anekdoten von seriösen Persönlichkeiten. Ein wunderbares Beispiel liefert Hans-Ulrich Gumbrecht, seines Zeichens Literaturwissenschaftler an der Stanford University. Die Textstelle findet sich in dem Essay Crowds. Das Stadion als Ritual von Intensität. Auf den Text war ich dank eines Interviews auf Deutschlandfunk Kultur gestoßen, wo die Anekdote auch genüsslich Erwähnung findet. Der Essay ist auch für all diejenigen geeignet, die sich nicht als Fußball-Fans bezeichnen würden, jedoch sich für das Phänomen der Masse interessieren und einen kulturhistorischen Streifzug zu diesem Thema mitmachen wollen.  Als Gumbrecht in Buenos Aires das legendäre Stadion La Bombonera, der Heimspielstätte des dortigen Fußballvereins Boca Juniors (die herrliche, vom Autor vorgeschlagene Übersetzung des Stadionnamens lautet „Pralinenschachtel“) besichtigen wollte, gab es diese besondere Geld-Leistung:

Zu hören, dass die letzte Stadionführung schon unterwegs sei, beunruhigte mich keinesfalls. Im Gegenteil, ich wusste, dass ein gut platziertes Trinkgeld auf eher bescheidenem Niveau ausreichen würde, mir im rechten Moment ganz allein Zugang zu den drei Tribünen zu verschaffen.

Und so kam es. An die Zahl der „Australes“ (damals die argentinisches Währung) kann ich mich nicht mehr erinnern, aber der junge Mann im dunkelblau-gelben Overall (das sind die Vereinsfarben), dem ich sie gab, nannte mich gleich „Caballero“ und aktivierte  auch sonst noch allerhand Höflichkeitsformen, an die er hörbar nicht gewohnt war. (…)

Mit einem Mal aber gingen die Lichter aus im frühabendlichen Stadion. (…) Über die nun geschlossene hohe Gittertür aus Metall zu klettern, die das Spielfeld mit den Tribünen von den Kassen, den Läden und dem Museum abtrennte, wagte ich nicht. Und warum auch? (…) Zehn Stunden allein im leeren Stadion waren eher ein erfüllter Traum als ein Alptraum und fühlten sich an, als sei ich Teil einer Geschichte geworden, als sei die Nacht meine Taufe und damit mein Eintritt in eine Gemeinschaft gewesen. Bald sah ich von weitem denselben Mann im blaugelben Overall die Gittertür aufschließen. Weder überrascht noch erschrocken wirkte er, und ich gab ihm wieder ein paar Australes. „Gracias, Caballero“.

Ein Stadionaufenthalt der ganz ungewöhnlichen Art wurde so möglich. Zugleich ein stilles Abenteuer inmitten einer lauten Metropole. Dafür lässt sich im Vorhinein kein Preis aushandeln; es braucht vielmehr Gespür für das Gegenüber, ohne jemandem anderen unrecht zu tun. Anstatt sich persönlich zu bereichern, kommt hier der ideelle Erfahrungsreichtum zum Tragen. Wer wagt, gewinnt, hier ganz ohne Risiko. Das Wagnis, eingeschlossen worden zu sein, wird zu einer Gr0ßchance, ohne dass von einem Fußballspiel die Rede ist: Die Chance zur erweiterten Wahrnehmung, die es so nur in einem Stadion gibt. Diese bietet zur rechten Zeit ein „ gut platziertes Trinkgeld“ . Der Einsatz hat sich in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Und anders als ein Lehrbuch ist ein Essay genau die richtige Textsorte, davon als gefühlter „Teil einer Geschichte“ zu berichten.

Der zitierte Essay (Zitat auf den Seiten 12 bis 14) ist im Klostermann Verlag erschienen. Das Interview dazu im Deutschlandfunk lässt sich hier nachhören.