Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Matsch-Pfütze

Schlagwort: Klaviermusik

Amtlich aufgedreht – Über eine einmalige Musikauswahl

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Standesamtliche Trauungen zeichnen sich durch einen durchgetakteten Ablauf aus. Passende Musikstücke für diese recht kurze Zeremonie zu finden ist gar nicht so einfach. Sicher würde sich ein Forschungsprojekt lohnen, das der Frage nachgeht, was genau in welcher Besetzung wie oft an deutschen Standesämtern dafür ausgewählt wird. Datenschutzbedenken würde es dazu wohl nicht geben.

Wir entschieden uns nach kurzer Bedenkzeit für den Pianisten Sofiane Pamart, auf den ich durch mindestens ein auf Arte aufgezeichnetes Konzert 2022 oder 2023 aufmerksam wurde. Allein der Name wird allerdings schwer im Kollektivgedächtnis in Deutschland einen Platz finden, obwohl dessen Klaviermusik eindeutig als leicht hörbar für ein größeres Publikum eingestuft werden kann. Seine Zuschauerzahlen erreichen dabei fünfstellige Werte! Leicht konsumierbar ist er international bei einem besonders inszenierten Act während der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris zu hören und sehen gewesen, als er auf der Seine im Regen an einem entflammten Flügel die Sängerin Juliette Armanet begleitete. Der ausgewählte Titel Imagine von John Lennon zeigt auch, dass Pamarts Musik die Fantasie steigern kann, wie es der Pianist auch für sich selbst einfordert. Seine Musik kann wohl der Neoklassik-Strömung zugeordnet werden: Manche würden sie als kitschig oder oberflächlich abtun, doch können manchmal eingängliche bzw. niedrigschwellige Klänge Vorrang haben.

Sofiane Pamart, geboren 1990, ist seit 2024 Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres. Er ist also in Frankreich bereits zum Ritter geschlagen worden! Er wuchs bei Lille in Nordfrankreich in einer aus Marokko eingewanderten Familie auf und absolvierte mit Auszeichnung ein Klavierstudium am Konservatorium in Lille. Sein schillerndes Auftreten – „er spricht die Sprache der Mode genauso fließend wie die Sprache der Musik“, wie es im SWR heißt – steigert sicherlich die öffentliche Aufmerksamkeit für ihn. Ab spätestens 2023 machte er zudem einen „Imagewandel“ vom Rap-Künstler zum (Neo-)Klassikpianisten durch.  

Schwierig fiel die Entscheidung, welche fünf Stücke in welcher Reihenfolge wir schließlich auswählen würden (es hätten auch weniger ausgereicht). Eine gewisse Logik sollte hier auch erkennbar sein, auch wenn sie (musik-)dramaturgisch etwas an den Haaren herbeigezogen sein würde. Außenstehende können mit der Titelliste nicht viel anfangen:

  • Tiempo (aus dem Album Noche)
  • Alaska (aus dem Album Planet)
  • Planet (aus dem gleichnamigen Album)
  • Madagascar (aus dem Album Planet)
  • Vera (aus dem Album Noche)

Besonders Alaska gefällt mir sehr gut. Aus diesem Titel kann man leicht das Kristalline heraushören, das mich schnell an eine verschneite Landschaft erinnert. Im Grunde bietet die Musik, weil sie eben nicht allzu komplex ist, genug gedankliche Freiräume, warum sie sich in meinen Augen auch besonders als Hintergrundmusik eignet, der man nicht allzu viel Beachtung schenken muss.

Traditionell sieht der Anlass nicht vor, Erläuterungen zu dieser Musikauswahl zu geben. Letztlich handelt es sich um wohltemperiertes Hintergrundrauschen, das zudem auch noch unvollständig erklingt. Wer aufdreht, kann leicht auch wieder abdrehen, so wie es die jeweilige Situation erfordert. Während drei ausgewählte Titel die Raumachse widerspiegeln, erinnern zwei Titel (Tiempo, Vera) an die Zeitachse. Oder anders gefasst: Egal, wohin die Liebe auf diesem Planet fällt, sollte man an ihre Beständigkeit ohne Ablaufdatum glauben.

Am Tag der Trauung gab es mit dem Datenträger, einem gewöhnlichen USB-Stick, noch technische Probleme im Standesamt, so dass die Rettung das Handy war, auf dem die Songdateien auch vorlagen. Leider stand ein gewöhnlicher CD-Player nicht zur Verfügung; mit ihm wäre es tendenziell einfacher gewesen, da wir Wert darauf legten, nicht einfach bei Amazon einzelne Stücke zu kaufen. Ein ganzes Album zu besitzen stellt doch vor allem aus Künstlerperspektive die bessere Entscheidung dar. Wer also Sofiane Pamarts Musik in einer Veranstaltung einbauen möchte, dem sei ein mehrfaches Anhören seiner Werke empfohlen. Ich habe Verständnis für jeden, der darin Kitsch(-potenzial) sieht, doch gerade bei Sofiane Pamart gilt: In Maßen genießen! Wer das richtige Maß nicht findet, der wird sich an den Klängen schnell satthören; und Sättigung sollte eher bei einem wohlschmeckenden (Hochzeits-)Mahl erfolgen!

Sofiane Pamart ist 2026 sowohl in der Berliner Philharmonie  (31. März) als auch in der Elbphilharmonie in Hamburg (30. April) zu hören. Der Südwestfunk hat ihm einen knapp einstündigen Radiobeitrag gewidmet. Auf der Homepage des Kulturkaufhauses Dussmann lassen sich die beiden Alben Planet und Noche bestellen. Ein Arte-Mitschnitt seines Konzertes im Hôtel de la Marine 2022 ist lohnenswert. Das Stück Alaska lässt sich hier anhören.

Mischbatterie  Jazz – Über eine „Episode“ von Manfred Schmitz

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Es gibt Fragen, die sich einfach nicht beantworten lassen, aber trotzdem sinnvoll artikuliert werden können. Zum Beispiel: Wer spielte wo in den 1980er Jahren einige der 22 Stücke, die der an der Weimarer Musikhochschule lehrende Klavierpädagoge Manfred Schmitz (1939 – 2014) im Deutschen Verlag für Musik Leipzig um 1984 unter dem Titel Romantisches Intermezzo veröffentlichte?

Etwas irreführend ist der Titel schon, denn in engerem Sinne ist nur ein Stück als solches bezeichnet. Der Singular verweist in der Welt der Musik auf ein kurzes Zwischenspiel; außerhalb der Musik könnte man bei einem Intermezzo auch von einem Zwischenfall sprechen, der Heiterkeit auf sich gezogen hätte.

Für eine Stückesammlung klingt es jedoch überzeugend: Denn der Geist der Kompositionen (u.a. ist ein Lullaby, eine Berceuse und eine Barcarole enthalten) speist sich aus romantischen Vorstellungen, Ideen, Gedanken etc.; und bei einem Intermezzo kann man ja auch an den Zeitraum denken, in dem das eine oder andere Stück vorgetragen wird.

Ein Stück aus der Sammlung, das ich neulich vorspielen durfte, heißt Episode, was sich ebenfalls als Zwischenspiel bezeichnen lässt. Insofern erfüllt es ganz und gar den Gedanken eines Intermezzos. Faszinierend ist, wie Manfred Schmitz besonders in diesem kurzen Stück dem Klavierschüler die Klangwelt des Jazz näherzubringen wusste. Anschaulich mag dies durch das Notenbild erscheinen:

Auszug aus "Episode", aus: "Romantisches Intermezzo" von Manfred Schmitz
Takte 9 – 21 des Stücks Episode, aus: Romantisches Intermezzo (22 Stücke für Klavier), Deutscher Verlag für Musik Komponist: Manfred Schmitz

Mir geht es um letzten sechs Takte des Stücks. Heutzutage sind die darin enthaltenen Akkorde kein großes Kino mehr; man würde sie leicht überhören, weil wir in der Öffentlichkeit mit ihnen vertraut sind. Doch in einem Land wie der DDR, wo die immer stärker Jazzszene toleriert wurde, doch auch mit Hindernissen zu kämpfen hatte, müssen diese Klänge außergewöhnlich wahrgenommen worden sein, gerade wenn man die Klangwelt eines Klaviers näher kennenlernen wollte. Jeder Akkord in diesen sechs Takten ist von solcher Schönheit, dass man jeden einzelnen wiederholt anschlagen und sich dabei ein Stimmungsbild ausmalen könnte. Auf mich wirken die Harmonien, die unklaren Charakters sind, in ihrer Zusammen-stellung verzaubernd, auch weil sie nicht abstrakt oder verkopft aufgenommen werden. Die Spielanweisung dolce zeigt, dass man die Töne gleichzeitig laut und möglichst zart anschlagen soll. Zusammen mit dem geforderten Tempo rubato (88 Viertel-Schläge pro Minute) bedeutet dies ein gewisses Auskosten der Töne, also eine gewisse Verlängerung leicht akzentuierter Viertelnoten aus interpretatorischen Gründen, wobei dann zum Ausgleich einzelne weitere Noten auch verkürzt gespielt werden sollten, um das Tempo insgesamt nicht zu verschleppen.

Auch hier passt wiederum der Intermezzo-Gedanke, da es auf das Dazwischen der Akkorde ankommt. Mein Jazzklavier-Lehrer sprach kurzerhand von „zwischengeschlechtlichen“ Akkorden, eben weil sie nicht glasklar einer Harmonie zugeordnet werden können und zwei Harmonien (eine in der linken und eine in der rechten Hand) verknüpft werden. Der erste Akkord in Takt 16 verbindet einen G-Dur-Septakkord mit einem A-Moll-Septakkord. Und wenn Dur und Moll zeitgleich aufeinanderprallen, dann vermischt sich die Klangpalette so sehr, dass man in einer Art Gefühls-Zwischenraum verharrt, in der die Unklarheit zum Ausdruck kommt. Gleichsam wie in einer Episode, die merkwürdig ohne eindeutiges Fazit, also ohne: „Lange Rede  – kurzer Sinn!“ in Erinnerung bleibt.

Manfred Schmitz muss ein sehr interessanter Klavierpädagoge gewesen sein. Wenn ich das Romantische Intermezzo Anfang der 90er Jahre erhalten hätte, dann hätte ich wohl noch länger Klavier geübt. Und ich hätte gelernt, dass jazzige Elemente auch Teil eines romantischen Musik-Universums sein können und eine Trennung zwischen Jazz und Klassik wenig Sinn ergibt.

In diesem Sinne ist Romantisches Intermezzo eine wunderbare Entdeckungsreise für das Gehör, während sich gewisse technische Fähigkeiten nebenbei entwickeln lassen. Pädagogisch äußerst reizvoll, auch noch im 21. Jahrhundert!

Hintergrundinformationen zur DDR-Jazzszene gibt es auf einer mdr-Seite. Bei Breitkopf und Härtel kann man die Stückesammlung bestellen. Eine Interpretation der Episode von Juliane Steinwachs-Zeil gibt es hier. You-Tube-Video Näheres zu Manfred Schmitz gibt es in der Neuen Musikzeitung.

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