Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Autor: Thomas Edeling Seite 6 von 10

Genießer und Entdecker kleinerer und größerer unbekannter Gefilde. Vom Südrand des Ruhrgebiets stammend, aus dem Essener Süden, wo landschaftliche Reize und Industriekultur gleichermaßen in der Nähe sind. Im beruflichen Alltag Lehrkraft für besondere Aufgaben im Bereich Deutsch als Fremdsprache an der Westsächsischen Hochschule Zwickau. In der Freizeit gerne auf dem Rad, auf Langlauf-Skiern, auf der Vespa oder zu Fuß unterwegs.

Im hintersten Winkel der Republik: Über einen Kurztrip in die Oberlausitz

Von Westen aus gesehen ist für viele Urlauber jenseits von Dresden und der benachbarten Sächsischen Schweiz kein Platz mehr für Entdeckungen. Fernzüge aus Frankfurt enden allesamt in „Elbflorenz“. Die Region bis zur polnischen Grenze bleibt für viele Terra Incognita. Höchstens wird aufgrund der überragend restaurierten und denkmalgeschützten Altstadt Görlitz an der Oder erwähnt. Bautzen kenne ich vom Namen schon lange wegen des ehemaligen Stasi-Gefängnisses, das ich bereits 2009 auf der Durchreise besuchte.  Schon damals dachte ich mir, dass die Stadt zu Unrecht so unbekannt bzw. verkannt ist. Jedenfalls erscheint die Stadt „aufgeräumt“, wie man so schön sagt. Zittau ist wohl die entlegenste Stadt Deutschlands. Selbst von Dresden aus schafft man es garantiert nicht in einer Stunde, dorthin zu kommen. Wer sehr schnell unterwegs ist, braucht zumindest 90 Minuten. 2019 besuchte ich das benachbarte Zittauer Gebirge, das von der Silhouette eine besondere Aura ausstrahlt. Ich kenne kein Mittelgebirge in Deutschland, das sich so schön im wahrsten Sinne des Wortes abzeichnet. Die Linie, die den Kamm des Gebirges bildet, ist aus der Ferne so schön geschwungen, dass sie wie eine unverwechselbare Signatur daherkommt. Auch wenn die Erhebungen der Sächsischen Schweiz öfter auf Leinwände gebannt sein mögen, so ist der hinterste Winkel Deutschlands lauschiger und geheimnisvoller. Besondere Felsformationen gibt es dort übrigens auch.  Dass der höchste Gipfel (793m) des Zittauer Gebirges Lausche (tschechisch: Luž) heißt, ist dabei eine schöne Pointe.  Seit dem Sommer 2020 gibt es auf dem Gipfel auch einen beachtlichen Aussichtsturm. Die im Gebirge gelegenen Orte Oybin (mit ehemaliger imposanter Burg- und Klosteranlage) und Jonsdorf könnten gewiss einen Bildband füllen, bestehend aus den regionaltypischen, dekorativ aussehenden Häuserfassaden. Für touristische Highlights der Region verweise ich gerne auf einen Reiseblog.

Als Übernachtungsmöglichkeit empfehle ich den Gutshof Schirgiswalde, der all das bietet, was man für einen Kurzurlaub braucht. Ein junges, dynamisches Team, das den Austausch der Anonymität vorzieht, bietet dort seit 2020 elf Ferienwohnungen unterschiedlicher Größe an. Zum Entspannen gibt es draußen und drinnen mehr als genug Platz. Pferdestall und -koppel nebenan erlauben überdies wertvolle Begegnungen zwischen Menschen und Tier. Dieser Rückzugsort kann auch als „Location“ herhalten: Ein Hochzeitspaar erzählte mir, dass es tags zuvor auf dem Gutshof gefeiert und die ganze Festgesellschaft vor Ort untergebracht habe, was in der Region nur an wenigen Unterkünften möglich sei. Der Frühstücksraum ist in der Tat ideal für größere Veranstaltungen, ohne dass gleich von Events die Rede sein muss.

Gutshof Schirgiswalde
Gutshof Schirgiswalde, von der Einfahrt aus gesehen.

Schirgiswalde ist neben seiner idyllischen, hügeligen Lage mit dem auffallenden Eisenbahnviadukt und den malerisch in ihre Umgebung eingebetteten Sakralbauten auch ein strategisch günstiger Ort, da man von dort leicht in alle Richtungen (eine knappe halbe Autostunde südlich von Bautzen) kommen kann. Sehenswert ist auch im Hinblick auf die immer noch bestehenden Tagebauaktivitäten im nördlichen, flachen Teil der Oberlausitz die Energiefabrik Knappenrode, wo bis in die 90er Jahre Briketts hergestellt wurden.

Schirgiswalde
Schirgiswalde von oben (Panoramablick)


Zum Schluss noch ein kulinarischer Tipp.  Ca. 3 km entfernt gibt es in Sohland an der Spree direkt an der B98 das „Brauhaus am See“, das mit „Zippel-Bier“ aufwartet. Von Donnerstag bis Sonntag ist es geöffnet. Wenn man bedenkt, dass es weit ab von wirklich großen Ortschaften liegt, zählt es auf Laufkundschaft auch von weither. Möge das Unternehmen ein glückliches Händchen haben!

Vielen Dank an den Gutshof Schirgiswalde für die eine oder andere wertvolle Information und natürlich die Gastfreundschaft. Mehr Informationen zu dieser außergewöhnlichen Unterkunft sind in einem anderen Blog zu finden.

Wenn der Liebesschmerz zum Notfall wird: Gedanken zu „Herr Amor“ von Laing

Es gehört schon eine gewisse Kunstfertigkeit dazu, die Antike motivisch mit dem 21. Jahrhundert zu verbinden. Nicola Rost hat mit ihrer Formation Laing in ihrem gewitzt-unterkühlt vorgetragenen Song „Herr Amor“ diese Brücke geschlagen, indem sie den Liebespfeil des Gottes Amor einer Liebesfirma – man könnte auch an eine kommerzielle Partnervermittlungsagentur denken – andichtet.

Im Grunde fußt der Liedtext auf einer Kündigung, die das lyrische Ich
(wohl eine Dame) an den Geschäftsführer Herrn Amor schreibt. Ein Mitarbeiter, so der Vorwurf, habe ihren Freund mit seinem Pfeil angeschossen, so dass er nun „schwer verliebt“ sei. Doch der Pfeil traf nur ihn, nicht aber das Ich, das zwar „unverletzt“, aber auch unzufrieden mit der Dienstleistung von Herrn Amors Firma ist. Der Freund könnte nämlich ihr Partner werden, denn „eigentlich würd er ganz gut passen“. Doch den Liebespfeil einfach nur auf den Mann zu schießen hat Schmerzen und das Bedürfnis nach Heilung zur Folge.

Das Vokabular des Lieds parodiert in gewisser Weise bürokratische Umgangsformen zwischen einem Antragssteller und einem Antragsempfänger. Ein „Führungszeugnis“ liegt dem „Antrag“ an einen telefonisch nicht erreichbaren „Zuständige(n)“ in „Druckbuchstaben“ bei, der zum Ziel hat, den „Anbieter“ zu wechseln, da zumindest ein „Mitarbeiter“ von Herrn Amor fehlenden „Sachverstand“ aufweise. Dass man eine „Notfallnummer“ wählen kann, um zur „Entliebesabteilung“ zu geraden, zeigt schön, wie ambivalent hier das Konzept Liebe behandelt wird. Das Schwer-Verliebt-Sein als Notfall zu betrachten istschon an sich starker Tobak, gerade wenn der Schmerz eher noch verstärkt wird, wenn das Gegenüber nicht leidet. Im Grunde wird hier ein Unternehmenszweck gründlich gegen den Strich gebürstet, weil er sich wahrlich als Schadenverursacher entpuppt und nicht als Nutzenstifter. In der Wirklichkeit gäbe es hierzu sicherlich einige spannende Analogien zu ziehen.

Mehrdeutigkeit im Lied ist etwas Wunderbares, gerade wenn man bedenkt, dass in der Wirklichkeit Liebesbeziehungen über eine Vermittlungsagentur zu Anfang asymmetrisch gebildet werden. Individuell werden Personen vorgeschlagen, mit denen man Kontakt aufnehmen soll. Es ist daher selten, dass zum gleichen Zeitpunkt die Kontaktaufnahme auch von der jeweils anderen Person kommen könnte. Die Vorstellung, dass es gut passen könnte, basiert oftmals also erst einmal auf einer individuellen Wahrnehmung, so dass der häufig romantisierte coup de foudre wie bei einem realen Zusammentreffen im Grunde meist nicht vorliegen kann.  Es ist selten, dass es beim ersten Zusammentreffen auf beiden Seiten „funkt“, wie es so schön heißt. Hohe Matching-Punkte in Bezug auf eine andere Person zu vergeben hat eben nichts mit einem Köcher voller Liebespfeile zu tun, die ja ihre Wirkung gezielt erreichen sollen. Schließlich wünscht man sich nichts mehr als Passgenauigkeit bei der zu gelingenden Partnersuche, nicht nur im Hinblick auf den möglichen Partner bzw. die Partnerin, sondern auch in gewissem Maße von der Vermittlungsagentur, die ja aufgrund von „Matching-Punkten“ in die Auswahl eingreift und damit gegen Bezahlung entscheidenden Einfluss ausübt. „Fehler“ bei der Berechnung sind natürlich nicht ausgeschlossen, nicht nur in der Firma von Herrn Amor. 

Natürlich wird nicht jeder bei diesem Song an das Thema Partnervermittlung denken. Man könnte auch auf den Gedanken kommen, dass im Song das Dienstleistungsunternehmen Liebe nur „produziert“ und damit erst verfügbar macht. Diese gruselige Vorstellung führt mich zu folgender Frage: Inwiefern kann eine Person Liebe spüren, ohne von einem im wahrsten Sinne des Wortes liebeswürdigen Menschen in Beschlag genommen zu werden? Wir erinnern Szenen, in den wir uns verliebt haben, doch unser Leben fängt mit der Kindesliebe an, deren wertvollste Augenblicke im Vergessen liegen.

Rust tritt teils solo, sondern mit der Formation Laing auf, die Gesang mit Tanz verbindet.  Der Song „Herr Amor“ kann hier angehört werden; ein Interview aus dem Jahre 2015 mit der aus Mannheim stammenden und in Berlin lebenden Sängerin findet sich online im Tagesspiegel. Hörenswert ist auch ein Podiumsgespräch mit Nicola Rost und Jovanka von Wilsdorf zum Thema Songwriting aus dem Jahre 2019. Das dazugehörige Album Paradies Naiv aus dem Jahre 2013 gibt es unter anderem  beim Label Universal zu kaufen, auf der Homepage von Laing gibt es (noch wenig) Informationen zu weiteren Auftritten.

Sprache auf Reisen: “Die Städte” von Andreas Maier

Es gibt Reiseliteratur und umgekehrt ebenfalls literarisches Reisen. Andreas Maier, mir aus den Medien aufgrund seiner schriftstellerischen Beschäftigung mit seiner Heimat, der Wetterau, bekannt, schildert in seinem neuen Roman Die Städte bereiste Destinationen zu unterschiedlichen Zwecken und Lebensphasen (von der Kindheit bis zu seinen Studienzeiten).  Auch hier setzt Maier mit seiner Heimat ein, indem er über seinen Erzähler Andreas autobiographische Bezüge sind unverkennbar bedeutende Veränderungen kurz beschreibt. Die einzelnen Kapitel lauten „Nürnberg, Brenner, Brixen“, „Athen“, „Biarritz“, „Oulx“, „Bangkok, Friedberg, Marrakesch“,  „Weimar“. Augenscheinlich geht es jeweils nicht nur um Städte bzw. Orte, auch wenn der erste Satz des Romans in den einleitenden Worten lautet: „Die Städte kamen sich näher.“ Dieser Auftakt ist ein Schlüssel zum Verständnis von Maiers Prosa, da es ohne die Wetterau als Bezugspunkt, die sich zwischen Bad Nauheim, Friedberg und den nördlichsten Stadtteilen Frankfurts erstreckt, dieses Buch nicht gäbe. Das Zusammenwachsen dank der Ortsumgehung (neben der Autobahn A5 und der S-Bahn-Anbindung) ist so sinnbildlich, dass Maier einem mehrbändigen Romanzyklus den Titel Ortsumgehung gegeben hat.

Womöglich wäre es sehr spannend, im Maier’schen Romankosmos die vielen Bezugspunkte zwischen heimischen und fernen Gefilden abzustecken.  Diese Relationen helfen, Lebensbewegungen zu verstehen. Beziehungen zu im geografischen Raum verteilten Menschen bilden in Die Städte den Ausgangspunkt von Reisebeschreibungen; diese geben Anlass für so manche, tendenziell freudlose Entdeckung.  Die Schilderungen sind oft nüchtern und nicht selten lakonisch. Das „Unterwegssein“, wie es auf dem Buchrücken des Suhrkamp-Bands heißt, wird zum Leitmotiv.

Zahlreiche Rezensionen beschäftigen sich mit dem Roman und seinem Kontext. Beim rbb ist abstrakt von einem „biografisches Bewegungsprofil“ die Rede, im Deutschlandfunk Kultur, wo Maier interviewt wurde,  von „Wahrnehmungs- und Zustandserkundungen“ auf „verschiedenen Entwicklungsstufen des Erzählers“. Das ist die inhaltliche Seite, doch wird hier wie im WDR-Bericht auch über die Sprache gesprochen. „Sprachfindung“ als „Lebensrettung“ ist die Formulierung hier (Deutschlandfunk Kultur), „Geburt des Ich-Erzählers aus dem Geist der Sprache“ dort (WDR). Wenn hier auch noch ein gewisser Zauber in einem transkulturellen Kontext zum Tragen kommt, dann verschwindet die Bewegung an einen fremden Ort hinter der Bewegung der Dinge. Sprache bringt Welt im wahrsten Sinne des Wortes zum Vorschein und entfaltet sie, indem sie mehrere Dinge aufrufen und in einen geradezu faszinierenden Kontext stellen kann. Folgendes Zitat könnte gut in einen kommunikations-wissenschaftlichen Reader aufgenommen werden:

Ich bestellte einen Ouzo (unwahrscheinlich, dass ich je vorher Ouzo getrunken hatte, aber ich wusste, man trank das als Grieche). Der Mann stellte mir mit Bewegungen, die ich ungewöhnlich elegant fand und die ich höchstens mit den Bewegungen gewisser italienischer Kellner vergleichen konnte, ein Glas vor mich, goß Ouzo hinein, dann nahm er eine Karaffe, füllte sie unter einen Wasserhahn, gab Eiswürfel hinzu, steckte in die Karaffe einen Löffel und kredenzte das ebenfalls. Es sah aus wie eine Zeremonie: Ich hatte das Wort Ouzo genannt, und plötzlich, in einem bestimmten Ritual, kamen all diese Gegenstände in eingeübter Reihenfolge auf den Tisch. Ich war beeindruckt, dass ich der Urheber eines solchen Brimboriums sein konnte. Nun aber holte der Barkeeper hinter seinem Tresen auch noch ein Schälchen mit Oliven hervor, stellte es auf eine Papierserviette, die er vor mir postierte, und daneben noch ein Gefäß mit Zahnstochern und ein weiteres Schälchen, offenbar für die Kerne und die benutzten Stocher. Meine Ein-Wort-Bestellung hatte also wie von Zauberhand vor mir erscheinen lassen: Glas, Ouzo, Karaffe, Wasser, Eis, Löffel, Serviette, Schälchen, Oliven, Gefäß mit Zahnstochern, zweites Schälchen. Zwölf Dinge auf ein Wort hin.

Zwei Silben sorgen dafür, dass eine kleine Genuss-Welt en miniature entsteht. Das Staunen über diese kleine Szene lässt sich genauso herauslesen wie das Stauen des Erzählers über die eigene Macht, eigens Auslöser dieses „Rituals“ gewesen zu sein.

Ich bin mir sicher, dass das Roman-Universum von Andreas Maier in wenigen Jahren,wenn der Romanzyklus Die Ortsumgehung abgeschlossen sein wird, mindestens eine mehrtägige Konferenz verdient hätte.  Eine Poetik der Ortsumgehung untrennbar literarisch-geografisch zu skizzieren lädt zur Spurensuche in Wort und Schrift ein, wozu Reiseziele die Staffage darstellen,  an denen man auch getrost vorbei fahren kann.

Im Suhrkamp-Verlag ist das Buch verlegt worden.

Falschaussprache – ganz bewusst: Über einen delikaten Sommerhit

Radio Vogtland gehört zu der Kategorie Lokalradiostationen, die mich ähnlich wie Radio Erzgebirge zum Schmunzeln bringen kann, wenn ich zum richtigen Moment einschalte (und dann auch schnell wieder ausschalte!).Und tatsächlich: Ich hatte Glück! Denn als ich am Abend des 17.06. einen recht steilen Berg bei Auerbach im Vogtland hochfuhr und hochschalten musste, lief der waschechte Sommerhit des österreichischen Sängers Johannes Sumpich alias Josh., in dem die bewusst falsche Aussprache von importierten Genüsslichkeiten aus romanischen Sprachen zum Hauptmotiv wird. Allein der Titel Expresso & Tschianti zeigt, worauf es ankommt: Hauptsache Genuss, egal, wie es genau heißt: Dass einem mal das Express-X durchrutscht, obwohl natürlich ein „s“ richtig wäre und man beim „ch“ an die spanische Aussprache denkt und an kein bloßes „k“, ist zwar für Italien-Liebhaber schmerzhaft, ist aber auch eine Belustigung. Folglich werden „Gnocchi“ wie „Gnotschi“ ausgesprochen, und „nozze“ (di Figaro) wie die spanische „noche“, so dass daraus „Die Nacht des Figraro“ und nicht Die Hochzeit des Figaro wird. Albernheit ist auch in solch einem musikalisch mittelmäßigen Hit erlaubt; „Bruschetta wird mit „sch“ und nicht mit „sk“ ausgesprochen, Tagliatella (richtig wäre der Plural „Tagliatelle“) mit harter „kl“-Lautfolge statt mit weicher lj-Kombination; „Limoncello“ wird zu „Limoncella“, „Baguette“ zu „Baguetta“, „Dolci“ zu „Dolcis“; „vernissage“ wird abenteuerlich zu „vernischas“ sprachlich verunstaltet; und der Satz „La vita è bello“ verkennt, dass das Leben im Italienischen „bella“ ist.

Was ist der Kontext dieser Verkettung von falsch ausgesprochenen Wörtern? Der Videoclip zeigt, dass dieser Sommerhit  das Geschmäcklerische inszeniert. Denn die Speisen und Getränke werden an einem realen Ort konsumiert, der als Trattoria auch als (kleiner) Konzertort geeignet ist. Auf Nachfrage teilt mir das Management der Band mit, dass es sich um die „Cantinetta La Norma“ am Franziskanerplatz in Wien handelt. Unten spielt das Band-Trio; oben findet ein Abendessen statt, das man als verpatztes Date in einem kitschigen Rahmen interpretieren könnte. Jedenfalls hat der Herr bei der Dame keine Chance; am Ende  bekommt er sogar die „Dolcis“ ins Gesicht geworfen. Er arrangiert das vollständige Abendprogramm, macht sich jedoch in diesem Rahmen selber lächerlich. Ernst kann man ihn zumindest nicht nehmen, gerade bei dieser verkorksten Aussprache.

Dass das Date unter Beobachtung steht ist von Anfang an klar, denn die Dame hat bereits einen unauffälligen Begleiter, der unten sitzt, mitgebracht. Und wahrscheinlich hat der Herr für die Speisen und das Ambiente gesorgt, was sie keineswegs anturnt. Egal ob Mozart-Oper oder Genuss, sie macht „einfach nur die Augen zu“. Der Clip hat von der Kameraführung etwas Filmisches und gleichzeitig von der Gestik und Mimik etwas Theatrales, so dass der Handlungsort wie eine Bühne eines Spektakels wirkt. Es entstehen Mehrdeutigkeiten, was den Hit eindeutig aufwertet. Man kann deswegen nicht von einem einfach gestrickten Schlager sprechen, denn das Eingänglich-Simple wird durch die Bilder eher hinterfragt. Ist das Gezeigte einfach zu verstehen? Und wie ist die männliche Gesangsstimme im Lied zu interpretieren? Ist der Charakter dahinter wirklich so töricht und einfältig? Oder ist er einfach nur albern, unseriös, komisch?

Die Hauptfigur singt ja nicht selber, so dass keine Einheit zwischen ihr und dem Interpreten besteht. Hier liegt der Clou: Vorgetragene Musik und dargestellte  Handlung finden unter einem Dach statt und verweisen aufeinander. So lässt sich Komik noch intensiver darstellen.

Ein sommerliches Stelldichein, bewusst unseriös und oberflächlich im mediterranen Gewand verlebt, erhält somit einen mehr als nur ironischen Kommentar in Form eines Sommerhits.  Diese Musik macht nicht Appetit auf mehr, sondern zügelt: Es darf auch ein bisschen weniger (Show) sein. Und: Geglückte Aussprache und vor allem Ansprache sind eben nicht „egal“!      


Der Liedtext und der Pressetext zusammen mit dem Video laden zum Schmunzeln ein….Das dazugehörige Album Teilzeitromantik wird beim Label Warner kurz kommentiert. Es ist am 25.06.21 erschienen und ist u.a. hier erhältlich.

Einpendeln zwischen Kulturen

Spätestens seitdem es die Pendlerpauschale (offiziell: Entfernungspauschale) gibt, ist das Pendeln eine politisch subventionierte Tugend geworden. Die Pauschale, deren Abschaffung mal mehr, mal weniger diskutiert wurde , gilt ab dem ersten Kilometer, der zwischen Arbeits- und Wohnort liegt.  Nach der Pandemie wird das Home-Office zwar nicht ausgedient haben, doch werden sich wieder mehr (Büro-)Menschen auf ihren Arbeitsweg machen. Was anders als „Büromenschen“ zwangsläufig Fabrikarbeiter, Krankenschwestern und Reinigungskräfte  bis zu mehreren Stunden pro Tag machen müssen, kann man als enormen Kraftakt bezeichnen: Gut 19 Millionen Bundesdeutsche können sich, wenn sie Gemeindegrenzen überschreiten, als Pendler definieren, wie Der Spiegel Anfang 2020 berichtete; neulich meldete heute.de, dass deutlich mehr als 3 Millionen Bundesdeutsche über (Bundes-)Ländergrenzen pendelten, Tendenz steigend. Durchschnittlich werden dabei knapp 20 km pro Strecke zurückgelegt. Die meisten würden gerne auf solche Wege verzichten, doch 2018 hörte ich einen Manager eines mittelständigen Unternehmens bei seiner Selbstvorstellung  auf einer Forumsveranstaltung sagen,  dass er den längeren Arbeitsweg im Auto bräuchte, um sein Tagwerk zu reflektieren. Wenn man wie er aus der Stadt (Großraum Bonn) kommt und im Siegtal arbeitet, lassen sich Distanzen recht stressfrei überbrücken.

Pendeln ist ein im Alltagsdeutsch fest etablierter Begriff, den man im Englischen mit „to commute“ und im Französischen mit „se déplacer“ im Hinblick auf den (gemeinsamen) Ortswechsel übersetzen kann. Das Metaphorische des stetigen Hin und Her geht hierbei verloren. Es geht im Grunde um etwas sehr Rhythmisches: Man mag an ein Pendel denken, das in früheren Zeiten über das gleichmäßige Hin- und Herschwingen ein Uhrwerk in Gang setzte.

Neulich kam mir das Pendel als Metapher wieder deutlich in den Sinn, als ich die letzten Seiten von Deborah Feldmans Roman Überbitten las. Der spannende autobiografische Roman, der im Grunde einen Brückenschlag zwischen Feldmans alter Heimat New York und ihrer neuen Heimat Berlin und ihre Loslösung vom orthodoxen Judentum hin zu einem weltlicher geprägten Lebensstil beschreibt, ist dafür genau die richtige Grundlage. Das Pendel hat bei Feldman selbstverständlich nichts mit dem Pendeln im Arbeitskontext zu tun, sondern beschreibt einen kulturellen Annäherungs- bzw. „Aneignungsprozess“ . In der btb-Ausgabe heißt es (S. 688):

Will man den Prozess der kulturellen Aneignung verstehen, vor allem, wie er in meinem persönlichen Fall greift, dann muss man an die alte Metapher des Pendels denken. Der Raum, der zwischen zwei Kulturen besteht, ist keine klar gezogene Linie, sondern ein unbegehbarer Abgrund. Beim Prozess des Schwingens über ihm, ganz so, wie man sich vielleicht eine Art Pionier-Tarzan vorstellen mag, kommt man nicht auf der angestrebten Seite mit einem einzigen Abstoß an, sondern eher, indem man vor- und zurückschwingt, vor und zurück, mit einem stetig wachsenden Schwungmoment. Jedes Mal, wenn man weiter wegschwingt als zuvor, das heißt, die andere Seite zurückweist, ist man naturgemäß mit dem folgenden Moment näher an sie herangetrieben. Damit will ich nur sagen, dass meine instinktive und animalische Zurückweisung des Landes, das ich zugleich als mein wahres Zuhause bezeichnen möchte, ein wesentlicher Teil des Aneignungsprozesses war und bleibt. Wie meine Großmutter es mir gesagt hatte, ist die Welt in Gegensätzen erschaffen, ohne Dunkelheit würde es kein Licht geben, ohne die Kraft meiner Abstoßung gäbe es meinen Antrieb nicht.

Die für mich einleuchtende Einstellung könnte man in gewissem Maße auch für jeden geografischen Pendelvorgang ausweiten, da ja auch zwischen Unternehmenskultur und Privatleben oft scheinbar unüberbrückbare Differenzen bestehen. Nur wenn man den zu Anfang fremden Betrieb als ein Teil des Zuhause ansieht, kann man sich etwas davon aneignen, gerade wenn eine längere Betriebszugehörigkeit besteht. Man gehört also dazu, ist nicht einfach nur vor Ort. Nicht wenige verbringen werktags mehr Zeit im Betrieb als daheim und müssen den Schwung mitunter auch mit der Abstoßung verbinden. Hier allerdings lauert die Doppeldeutigkeit von „Abstoßung“, die zu Missverständnissen führen kann. Das energiereiche Abstoßen kann jedenfalls sehr schnell eine spürbare Anziehungskraft von der Gegenseite erzeugen. Das Pendel kann, wie ich finde, in Feldmans Modell auch mit einem Magnet als Kraftfeld verknüpft werden, der die Anziehung nur noch verstärken würde, wenn im Zeitverlauf eine Art Umpolung stattfindet.

Auch im Arbeitsalltag ist das Unvertraute eher anziehend, gerade wenn bestimmte Herausforderungen erwartet werden. Die physikalische Kategorie „Schwungmoment“ ist in vielen Belangen entscheidend, auch wenn die meisten Leser Physiker befragen müssten, wie sie eigentlich genau definiert ist. Jedenfalls gilt: Wer eine gewisse Schwungkraft in Annäherungsprozessen zwischen Kulturen verspürt, hat es leichter. Mit diesem Gespür pendeln und schwingen sich nämlich im günstigen Fall von allein die Dinge ein.

Hörenswert ist ein Feature vom SWR zum Pendeln (2018).

Der lesenswerte Roman von Deborah Feldman ist in deutscher Übersetzung im btb-Verlag erschienen.

Die unerhörten Stimmen

Als bis etwa Mitte 2020 An- und Durchsagen auf deutschen Bahnsteigen recht blechern klangen, lag dies an einer schwer erträglichen Computerstimme. Diese hat endlich ausgedient. Nun hat die Stimme des Profi-Sprechers Heiko Grauel das Zepter übernommen; womöglich werden Bahnreisende seine Stimme Jahrzehnte lang hören.

In Österreich hat die Moderatorin, Autorin und ehemalige Fernsehansagerin Chris Lohner die Stimm-Rechte für die ÖBB inne. Mit einer mehrjährigen Unterbrechung durch eine Computerstimme, die scherzhaft „Petra aus Cottbus“ genannt wurde, hört man sie schon seit Ende der 1970er Jahre an den Bahnsteigen und in den Zügen. Und laut ÖBB ist Lohners Vertrag auf Lebenszeit geschlossen. Wie Lohner auf „köstliche Erfrischungen “ im OBB-Bordrestaurant hinweist, ist allein von der Stimmführung köstlich und erfrischend zugleich!

Nun habe ich also die digital aufgezeichnete dialektfreie Stimme des Hanauers Grauel, der natürlich Hessisch beherrscht, gegenüber der österreichisch gefärbten Chris Lohner im Ohr. Zum Glück ist die Stimmführung jeweils natürlich, so dass ich mich einfach wohler auf Bahnsteigen fühle als früher. Und doch kommt mir die Profi-Stimme von Grauel, der sich in einem Casting vor Hunderten Mitbewerbern durchsetzen konnte, gegenüber Lohners Stimme merkwürdig unauffällig vor. Woran liegt das? Mir scheint es, als ob Grauel die Sprecher-Rolle übernimmt, während Lohner sich wie eine Ansagerin anhört. Ihre Stimmführung kommt insgesamter mir charmanter und nuancierter vor, wohl auch deswegen, weil ihr Deutsch österreichisch gefärbt ist.

Ein weltweiter Zusammenschnitt von Bahnhofsdurchsagen würde eine enorme Vielfalt an den Tag bringen: Welten liegen (zumindest bis Ender der 2010er Jahre) beispielsweise zwischen den französischsprachigen und den slowakischen Durchsagen, die mir beide recht vertraut sind. Die eine ist extrem poetisch-klangvoll, die andere hart-herrschaftlich. Das liegt sicher nicht an den Sprachen oder am Geschlecht, sondern an der Intonation der beiden Sprecherinnen. Ich bin froh, dass man keine Einheits-Stimme für ganz Europa wird suchen wollen.

Es ist eine Herausforderung, Stimmen natürlich „herzustellen“. Die Digitalisierung macht es möglich, aus einem mit Sprachbausteinen gefüllten Setzkasten unendlich viele Wörter schöpfen zu können. Doch erst mit einem Schöpfer bzw. einer Schöpferin dieser Bausteine kann dies optimal realisiert werden. Der Mensch steht hier ganz klar vor der vervielfältigenden Technik.

Durchsagen an Bahnhöfen werden nicht aussterben, anders als Ansagen im Fernsehen, die seit den frühen 2000er Jahren nicht mehr zum Programm gehören. Die Dosis ist entscheidend: Keinem Fahrgast bringt es etwas, wenn eine im wahrsten Sinne des Wortes gut abgestimmte Geräuschkulisse zu einer Dauerbeschallung wird. Mag man noch sehr vertraut mit dem Smartphone sich durch die reale Welt navigieren, wäre eine Totenstille an Bahnhöfen auch nicht erwünscht. Es macht einen Unterschied, ob man akustisch darauf hingewiesen wird, dass ein Zug einfährt, gerade wenn es noch zu einem spontanen Gleiswechsel kommt. Nicht jede Information ist digital sofort verfügbar, so dass irgendwie nachgeholfen werden muss.

Ein akustisches Flair braucht ein Bahnhof, nicht nur ein visuelles. Der Begriff Sound-Design zeigt schon an, dass der Zufall kein guter Kooperationspartner ist. Eine Marke besticht häufig auch durch eine unsichtbare Kompetente. Heiko Grauel und Chris Lohner werden in den 2020er Jahren zu einem gewissen Bahn-Image beitragen. Je weniger Verspätungen und Zugausfälle es geben wird, desto angenehmer wird man die Durchsagen empfinden, unabhängig von der Stimmqualität.  Freuen wir uns auf neue stimmige, vor allem auch über live von einer bestimmten Leitstelle produzierte Beiträge, für die es einfach keine Standards geben kann und die nicht auf der Strecke bleiben sollen.

Repräsentative Stimmproben und ein Kurzporträt von Heiko Grauel geben einen näheren Eindruck. Demgegenüber lohnt sich die Lektüre eines Die-Presse-Artikels zu Chris Lohner und ihrer Stimm-Leistung für die ÖBB (inkl. Hörprobe im Vergleich zu „Petra aus Cottbus“) . Zuletzt gibt es Hinweise zum Ende 2020 eingeführten neuen ÖBB-Gong, der ja auch zu den Durchsagen gehört.

Umwegskultur ohne Umschweife

Als sich die Bundeskanzlerin Ende April 2021 mit Kulturschaffenden im Rahmen eines „Online-Bürgerdialogs” austauschte, fiel ein unscheinbarer und doch bemerkenswerter Satz, den man bei Deutschlandfunk Kultur am 27.04.21 gegen 17.25 Uhr im O-Ton während eines dreiminütigen Berichts zu diesem Gespräch hören konnte:

Der Mensch fällt ja nicht aus dem Bett direkt ins Theater.

Auf einer nachmittäglichen Radtour hatte ich genug Zeit, genüsslich über diese Aussage nachzudenken, die ja eigentlich als Argument gedacht war. Der Gesprächskontext bezieht sich auf die Notwendigkeit, trotz ausgeklügelter Konzepte den Kulturbetrieb weiterhin weitgehend geschlossen zu halten, was erst in diesen Maitagen in einigen deutschen Landkreisen endlich der Vergangenheit anzugehören scheint. Die hier wörtliche Bedeutung von ‚ausfallen’ lässt mich schmunzelnd und zugleich ein wenig betrübt an ‚Ausfall’ denken, denn hiermit wird ja gerade der Veranstaltungsbereich assoziiert.  Keiner kann genau aufzählen, wie viele Veranstaltungen in den letzten Monaten ausgefallen sind.

Der deutsche Philosoph Hans Blumenberg ist einer der stillen Stars, die die Republik als Geistesgrößen im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Seine Gedanken sind oft ohne Umschweife scharf formuliert. In seinem Band Die Sorge geht über den Fluss gibt es einen kurzen Text namens „Umwege“, den ich mit dem Satz der Bundeskanzlerin in Verbindung bringen möchte. Die ersten vier Sätze lauten:

Nur wenn wir Umwege einschlagen, können wir existieren. Gingen alle den kürzesten Weg, würde nur einer ankommen. Von einem Ausgangspunkt zu einem Zielpunkt gibt es nur einen kürzesten Weg, aber unendliche viele Umwege. Kultur besteht in der Auffindung und Anlage, der Beschreibung und Empfehlung, der Aufwertung und Prämiierung der Umwege.

Die Bundeskanzlerin hat definitiv einen wahren Satz gesprochen. Ums ins Theater zu gelangen, müssen wir Umwege in Kaufe nehmen. Und diese Umwege verlangen nach Mobilität. Eines der wichtigsten Credos dieser Tage heißt, dass wir unsere Mobilität einschränken müssen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Hierbei frage ich mich allerdings, ob gerade Theateraufführungen viele Menschen zusammenbringt. Im Herbst 2020 war es ja eher ein Husch-Husch hinein in die Aufführung und ein Husch-Husch hinaus ins Freie, da partout Geselligkeit vor und nach der Aufführung vermieden werden wollte. Austausch zum Dargebotenen war jedenfalls unerwünscht. Letztlich kann sich die Politik auf den von Merkel erwähnten Gleichbehandlungsgrundsatz berufen: Ein Theaterabend ist damit (leider) genauso zu behandeln wie ein Clubabend.

Was hätte Blumenberg zu Streaming-Angeboten gesagt? Wäre das nicht Kultur ohne Umwege? Etwa vom Bett aus Theatergenuss zu erleben?  Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass körperlich erfahrener Kulturaustausch ohne die Umwege des Reisens wirklich undenkbar ist; da können Videokonferenzsysteme noch so ausgeklügelt sein. Hingegen ist es eine sehr große Errungenschaft, dass viele Unternehmen im Jahre 2020 in meist virtuellen Diskussionsumgebungen sehr gute Gewinne erzielen. Das kann nicht ohne das Vorliegen einer vernünftigen Diskussionskultur möglich gewesen sein. Auch Lernkulturen können ziemlich gut online geformt und gefestigt werden. Doch gibt es hier keinen Widerspruch zu Blumenberg, denn Umwege sind auch in der Klick-Welt nachspürbar. Sie müssen heute nicht unbedingt geografisch verstanden werden. Das ist wohl der Zugewinn zum 20. Jahrhundert, dass wir eine Recherche zu recht großen Teilen offline und online vornehmen können.  Und klar ist, dass es niemals eine Recherche auf direktem Wege geben kann. Ein Marcel-Proust-Fan könnte hierzu sicher vieles sagen, und bei Angela Merkels Begeisterung für das Opernwerk von Richard Wagner wird auch mitschwingen, dass man gerade den Ring des Nibelungen als Plot ohne gewisse Ausschweifungen kaum (er)fassen kann und möchte. Konzise Kürze dient der Vernunft, doch Blumenberg spricht am Ende des Textes auch explizit von den „Existenzen der epischen Literatur“, die er als „Nutzungen“ von Umwegen ansieht. In jedem Fall trägt die „Umwegskultur“ zur „Humanisierung des Lebens“ bei.  Nun, Kulturschaffende sind auch Wegebereiter. Das ist mehr als nur kreativ zu sein. Sie schaffen Überfluss im Sinne der „Ausschöpfung der Welt“ und sind damit keinesfalls überflüssig. Erschöpfung hat jedenfalls andere Ursachen.

Blumenbergs Textwelten, darunter auch „Umwege“, lassen sich u.a. im Suhrkamp Verlag entdecken.

System(erkennungs)relevanz- Über eine Pfandrückgabe-Aktion

Wenn ich an Deutschland denke…kommen mir als erstes die Getränkemärkte in den Sinn. In der Tat: Je öfter ich einkaufen gehe, desto bestärkter werde ich in dem Eindruck, dass es wohl nirgendwo anders auf der Welt so viel Platz für trinkbare Flüssigkeiten gibt. Diese lagerhallenartigen Gebilde verströmen keinen Charme, wohl aber das Gefühl für das Labsal, das wir in Deutschland den vielen Mineral(wasser)quellen zu verdanken haben. Anderswo mag es sie auch geben, doch werden sie längst nicht so differenziert vermarktet. Woran das wohl liegen mag? Fest steht, dass ja auch die Anzahl der Brauereien bei uns (noch) hoch ist und diese auch viel Quellwasser anzapfen. Insofern ist das bei uns einzigartige bierselige Reinheitsgebot sicherlich vorteilhaft, wenn nebenbei auch „natürliches Mineralwasser“ zahlreich verkauft werden soll. Das Reine und das Natürliche ziehen sich magisch an; und dann liegt es auch nah, dass Fruchtsäfte, Limonaden, Spirituosen und Mischgetränke sich dazu gesellen können. Wenn ich demnächst einmal einen Zeitungsartikel dazu finden sollte, werde ich sicher noch einiges Wesentliche dazulernen.

Als ich neulich die in Chemnitz-Grüna beheimatete Getränkewelt in Steinpleis bei Zwickau ansteuerte, die als Marke mit dem Untertitel „Die Getränkekönner“ auftritt, ahnte ich bei der umtriebigen Verkäuferin, dass sie über eine ungewöhnliche Probieraktion noch mehr (Fruchtsaft-)Getränke an den Mann bzw. an die Frau bringen wollte. Und ganz nebenbei befand sich auch noch Mineralwasser der Marke Spreequell im Markt, die eigentlich im Berlin-Brandenburger-Raum zu Hause ist.  Ich griff zu und ging gern das Risiko ein, dass ich womöglich anderswo diese Gebinde nicht als Leergut zurückgeben könnte. Und siehe da: Die Getränkewelt-Filiale in Fraureuth, keine 10 km entfernt, weigerte sich, die Spreequell-Flaschen zurückzunehmen. Was war da los? In Fraureuth sagte die Verkäuferin, jene Flaschen seien noch nicht mal im „System“ erfasst. Die Kollegin in Steinpleis werde einen „Anschiss“ bekommen. Nun, das war nicht meine Intention. Mir blieb nichts anderes übrig, als den kaum erwähnenswerten Mehraufwand nach Steinpleis zu nehmen und dort die Flaschen zurückzugeben. Eher schmunzelnd als klagend berichtete ich dort, dass ich diesmal nur Leergut hätte, denn ich hätte mich schon in Fraureuth neu eingedeckt (gleiches Unternehmen, aber vielleicht doch interne Konkurrenz?!). Ich schrieb auch der Unternehmenszentrale, von der ich von einem „Bezirksleiter“ auch eine recht ausführliche Antwort erhielt:

„Unsere Filiale in Steinpleis bezieht als einzige Filiale des Unternehmens Sonderware aus Berlin. Da diese nur dort verkauft wird, kommt es immer wieder zu der Problematik, dass die Systeme in anderen Filialen die Flaschen nicht erkennen. (…) Zu guter Letzt möchten wir uns gerne bei Ihrem nächsten Einkauf in der Steinpleiser Filiale mit einer kleinen Überraschung bei Ihnen entschuldigen.“

Hier geht es also nicht um den seit dem Frühjahr 2020 kursierenden Begriff der Systemrelevanz, sondern um eine Art Systemumgehung, die sich in der Systemumgebung der EDV zu beobachten lässt. Diese Umgehung der Umgebung ist in ihren räumlichen Dimensionen spannend. Schließlich dient ja die problematische Maßnahme der (lokalen) Verkaufsförderung und ist nur aus Kundensicht und nicht aus Unternehmersicht mit Nachteilen verbunden.  Insofern hat die joviale Verkäuferin in Steinpleis keinen Fehler begangen. Marktfreundliches Denken ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht immer mit einer EDV-Systemlogik kompatibel. Zum Glück hat sie ihre Umtriebigkeit während der Arbeit sichtbar gewahrt. Und mir hat sie nicht übel genommen, dass ich die Zentrale informiert habe; ich habe ja bewusst das (lokale) Pfandsystem beanstandet, ohne die agierenden Mitarbeiter zu bekritteln.

Die Überraschung, die ich heute bei ihr rechtzeitig vor dem Maifeiertag abholte, war eine kleine, aber feine Getränke-Kühltasche mit Bitburger-Logo, gefüllt mit ganz unterschiedlichen Bier(mischgetränk)en. Da hat sich jemand Gedanken gemacht, denn Kostproben von der Chemnitzer Marx-Brauerei, der Veltins-Brauerei im sauerländischen Meschede sowie der kultigen Astra-Brauerei in Hamburg findet man in dieser Mischung nicht so schnell.

ein besonderes Geschenk
Geschenk aus der Steinpleiser Getränkewelt-Filiale

Alles in Butter, so könnte man sagen. Oder auf die Ästhetik der Getränkewelt umgemünzt: Alles paletti! Fast: Denn erwartungsgemäß wurde mir der in Berlin gekaufte Hochwald-Sprudelkasten nicht abgenommen. Das habe ich einfach mit einem schallenden Lachen quittiert!

Abgetauchte Kunst – Über die Berichterstattung zum „Schleudersachsen 2020“

Wenn Kunstwerke rezensiert werden, sollte es sich um eine kritische Begutachtung des Gelesenen oder Angeschauten handeln. Mit Zensieren hat das zum Glück nichts zu tun. Wie sieht es mit Skulpturen aus, die sich nicht so leicht einer Bewertung fügen, weil sie eben nicht narrativ in Szene gesetzt werden, sondern sich im Auge des Betrachters selbst etwas fügen bzw. etwas ereignen muss, damit sie Aufmerksamkeit erhalten und mehr als nur flüchtig wahrgenommen werden?

Als ich Mitte November 2020 zufällig in der Freien Presse vom Negativpreis Sachsenschleuder las, war mir klar, dass ich schon aufgrund des Artikelnamens
„Lebensfragen im Schleudergang“ darüber schreiben wollte. Dass der Bund der Steuerzahler es als Dorn im Auge empfindet, wenn die öffentliche Hand sperrige Skulpturen direkt oder indirekt mit Zuschüssen fördert, kann ich verstehen. Allerdings offenbart sich mir der Mehrwert nicht, wenn der Bund der Steuerzahler Sachsen ein von Fachleuten für förderungswürdig empfundenes Kunstwerk erneut bewerten lässt. Angeblich haben 1400 Teilnehmern an der Onlineumfrage teilgenommen, für die eine Vorauswahl von einer „Jury aus Vereinsmitgliedern“ erfolgt war. Der mit der Aussage „Uns geht es darum, wie nachhaltig diese Kunstwerke sind“ zitierte Vereinspräsident Thomas Meyer benutzt ein hier irreführendes Eigenschaftswort: Nachhaltigkeit lässt sich mit Kunst nur schwer vereinen. Man stelle sich vor, man würde zu einer Podiumsdiskussion zu diesem Thema einladen. Würde dann nur Kunst gelobt, die noch mehr als einem Jahrzehnt frisch und unverbraucht wirkt, in etwa so wie ein gekauftes Produkt? Würde man da nicht sofort an Wegwerfartikel denken? Sind nach wenigen Wochen abgebaute Kunstwerke im Freien per se nicht nachhaltig? Die Hauptsache ist doch, dass sie nachhallen!! Nun gut, ich kann mir gut vorstellen, dass viele Menschen ein versenktes Auto im (Schloss)-Teich als „Schleudersachsen“ betiteln würden, wenn man ohne Zugang zu dieser Installation einfach nur den Kopf schüttelt. Die Botschaft des Skeptikers ist klar: Meyer möchte „hinterfragen, wofür Geld ausgegeben wird“. Doch das Hinterfragen funktioniert nur, wenn man sich nachhaltig mit der inhaltlichen Botschaft von (Kunst-)Objekten beschäftigt.

Das im Chemnitzer Schlossteich versenkte Auto, für das sich der Schweizer Künstler Roman Signer verantwortlich zeigte, ist sicher keine alltägliche Installation. Von einer klassischen Skulptur kann hier nicht die Rede sein, da hier nichts Stabiles im Raum vorliegt. Das kann auch nicht die Absicht sein, wenn ein Künstler die Bewegung von Objekten dokumentieren will. Man kann natürlich über den künstlerischen Wert eines solchen Autos streiten, doch soll Kunst nicht bereits hinsichtlich des Geschaffenen zur Debatte anregen? Die Installation ist ja auch in zwei Kontexten zu sehen: zu einen als Beitrag zur „Gegenwarten-Ausstellung“, zum anderen als Beitrag zur Bewerbung um die Kulturhauptstadt Chemnitz 2025. Da der Zuschlag an Chemnitz ging, können die Kunstwerke nicht deplatziert gewesen sein.

Die Berichterstattung in der lokalen Presse offenbart schonungslos, wie diese Debatte umgangen wird und man sich inhaltlich bloß am schnöden Geld aufhängt. Andere Kunstwerke, die eine stundenlange Betrachtung erforderten, könnten nicht so abqualifiziert werden wie Installationen im öffentlichen Raum, denn sie laden zur Abkanzelung förmlich ein. Ein besseres Beispiel für Ungerechtigkeit im Bewertungsprozess mag mir nicht einfallen. So wird die (vermeintliche) Posse ersten Grades, nämlich das Kunstwerk, zu einer unfreiwilligen Diskurs-Posse. Man könnte auch sagen: zu einer Posse zweiten Grades. 

Natürlich werden in der Freien Presse auch die Gegenstimmen benannt, in denen es zusammen mit anderen Arbeiten um einen „Imagegewinn“ für die Stadt geht, so wie es der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Chemnitz, Frédéric Bußmann, ausdrückt und im gleichen Atemzug auf die mangelnde Kompetenz des Steuerzahlerbundes in puncto Urteilsbildung hinweist.

Ein Großteil der 880.000 Euro Budget stammt aus Steuergeldern. Wenn die 20 Künstler je 20000 Euro bekommen haben, dann ist die einzelne Skulptur sicher keine überteuerte Investition gewesen. Verschwendung sieht anders aus. Die Behauptung, man hätte es auch günstiger bekommen können, läuft hier anders als manch andere Steuerverschwendung ins Leere.

Gut finde ich, dass schließlich die Chemnitzer Künstlerin und Wahl-Düsseldorferin Carolin Israel dem Bund der Steuerzahler Sachsen geschrieben hat, um die „Polemik“  und die fehlenden objektiven Informationen „für eine faire Bewertung“ kritisch zu kommentieren.  Bei dieser Notiz frage ich mich, ob nicht irgendwann eine Offline-Umfrage am Schlossteich stattgefunden hat. Wo kommen die kunstinteressierten Schaulustigen zur Sprache, die wirklich Lust am Hinschauen haben? Für diese Menschen muss es auch in der (Freien) Presse einen Platz geben.

Immerhin gibt es in der Lokalpresse den bereits erwähnten längeren Hintergrundartikel von Katharina Leuoth. Hier wird das Pro und Contra Steuerverschwendung bei Kunstinvestitionen einmal mehr entfaltet. Zwei neu eingebrachte Argumente finde ich hier am treffendsten. Die Leiterin der sich auf zeitgenössische Kunst spezialisierten Leipziger G2-Kunsthalle, Anka Ziefer, wird folgendermaßen zitiert: „Der Knackpunkt ist, dass Gesellschaften heute sehr divers sind und die Demokratien ausgehalten werden muss, dass unterschiedlichste Interessen gefördert werden.“ Um „Aufmerksamkeit und Renommee“ zu erhalten, reiche es auch nicht aus, einfach nur „handwerklich gut gemalte Bilder oder althergebrachte Skulpturen“ zu präsentieren.  Dass ein versenktes Auto auf viele Debatten in unserer Zeit verweist, wird mir sofort klar. Glücklicherweise hat Ziefer ein paar Erklärungshinweise dazu geliefert, so dass ein gewisser künstlerischer Aussagewert von Signers Installation hervorscheinen konnte. Die Devise lautet: Man muss am Ort des Geschehens gewesen sein, sonst kann man nur den Diskurs über das Kunstwerk bewerten, nicht das Kunstwerk selber. Und dieser Diskurs ist leider zu sehr von monetären Aspekten geprägt und zu wenig von inhaltlichen. Wer gar nicht zur Wort kommt, ist der Künstler selbst. An seiner Stelle hätte ich einfach nur über die Debattenkultur müde gelächelt. Lebensfragen können im Schleudergang natürlich nicht beantwortet werden.

Ein besseres Fazit als von der freien Kuratorin Juliane von Herz kann man kaum finden, wie es neulich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen war: „Das ist Kunst im öffentlichen Raum: Menschen stoßen auf ihre Werke, stoßen sich vielleicht an ihnen, reden über sie, twittern, empören sich, oder sie pilgern zu ihnen, weil man sie erlebt oder gesehen haben sollte. Kunst in der Stadt ist mehr als nur ihre bloße Präsentation.“

Ich beziehe mich auf die Artikel aus der Freien Presse vom 10.11.2020 („Kunst oder Verschwendung? Negativpreis für Tauch-Auto“, S. 9); 17.11.2020 („Lebensfragen im Schleudergang“, S.1)  und 23.11.2020 („Künstlerin schreibt Steuerzahlerbund“, S.7) sowie auf den FAZ-Artikel vom 07.04.21 („Die Stille ist einfach zu laut”, S. 14.) Die Seitenzahlen aus der Freien Presse beziehen sich auf die Ausgaben der „Chemnitzer Zeitung“.  Das abgetauchte Auto, dass leider auch Opfer von Vandalismus wurde, ist zusammen mit meist abwertenden Kommentaren in der Kurzberichterstattung des mdr zu sehen.

Ein sehr aufschlussreiche kurze Dokumentation zum Künstler Roman Signer und zu seinen „Action-Skulpturen“ findet sich bei Arte Tracks.

Ein rastloses Auf und Ab – Zu einem Prélude von Alexander Skriabin

Unruhe und klassische Musik passen eigentlich nicht zusammen. Klassik Radio wirbt deswegen mit dem Slogan „Bleiben Sie entspannt“.  Insofern steht das Prélude Opus 67 Nr. 2 von Alexander Skriabin (1871-1915) dort sicher auf keiner Musikliste, denn Ausgeglichenheit, Ruhe und fühlbare Melodik sind hier fehl am Platze. Die Spielanweisung „inquiet“ bringt es auf den Punkt:

Prelude von Skriabin
Anfangstakte von Alexander Skriabins Prélude Opus 67, Nr. 2 (aus der Schott-Ausgabe, 1988)

Das Stück ist von 1912 / 13 und fällt damit in eine Zeit, die eher von Aufbruchstimmung, aber teils auch von düsteren Tönen (Stichwort: fin de siècle) bestimmt ist. Manch einer hat gesagt, dass das 19. Jahrhundert bis 1914 dauerte, also bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs. Leider ist Alexander Skriabin viel zu früh gestorben, so dass er kein Spätwerk hinterlassen konnte. Sein Frühwerk ist sicher noch romantisch geprägt, doch davon konnte Anfang des 20. Jahrhunderts keine Rede mehr sein. Was ihn auszeichnete, war die ungewöhnliche Begabung, zu Tönen bestimmte Farben zu sehen. Dieses synästhetische Klangerlebnis lässt seine Klavierkompositionen schillernd erscheinen; der mit seit Jahren liebgewonnene Band mit seinen Klavierstücken (aus dem Schott-Verlag) zeigt schon von den Notenbildern her, wie innovativ er komponiert hat. 

Ich habe das Prélude so eingeübt, dass ich es zwar nicht „presto“, jedoch immer noch „allegro“ spielen kann. Warum fasziniert es mich so? Ich denke beim Spielen nicht an Farben (scheinbar bin ich kein Synästhet!), sondern an ein dynamisches, quasi vitalisierendes  Auf und Ab, dass in einer YouTube-Aufnahme von Steven Malinowski sehr schön mit Farbquadraten visualisiert wurde.  Allein eine zweidimensionale Darstellung von sich ändernden Tonhöhen steigert den Höreindruck. Hier ist das Klavierspiel wie ein komplexer Treppengang quasi in der imaginierten Bewegung erlebbar. Skriabin hätte wahrscheinlich auch Computer-Technik eingesetzt, zumindest hätte er solche wahrhaftigen Klang-Bilder gerne angeschaut.

Vom Ton-Material her denke ich oft an Jazz-Akkorde, weil gerade in der rechten Hand die Akkorde „schräg“ klingen. Der Rhythmus ist zu gleichmäßig, als dass man ans Wippen, geschweige denn ans Tanzen denken würde. Die linke Hand ist auch eben keine Rhythmus-Maschine, sondern erfüllt unablässig die ständig wechselnde Aufwärts-Abwärts-Bewegung in Triolen. Auf eine „Auf-Ab“-Triole (natürlich kein Fachbegriff!) folgt eine Ab-Auf-Triole; in einem Takt gibt es davon bis kurz vor dem Ende je zwei. Nur die letzten zwei Schlusstakte lassen die unruhige, unstete Bewegung hinter sich; der Schlussakkord hört sich wie ein großes Fragezeichen an, das wie sich ein Zwischenfazit anhört und in ein neues Stück übergehen könnte. Bei knapp 100 Sekunden Spieldauer in meinem „nur“ schnellen Tempo hat die linke Hand fast 400 Töne angeschlagen, was für das Publikum bei der Tonfolge alles andere als leicht konsumierbar ist. Man kann allerdings in der rechten Hand eine Art Melodie ausmachen, die jedoch sehr vage bleibt. Ab welchen Tonfolgen kann eine Melodie eigentlich als solche herausgehört werden? Klar ist, dass hier kein Beat hineinkomponiert ist, an dem man sich akustisch festhalten könnte. Es ist eher eine unruhige Suchbewegung, die in der rechten Hand dank der Akkorde eine gewisse Tiefenstruktur und in der linken Hand eine horizontale Dynamik als Vorwärtsbewegung erhält. Dieses kurze Stück hat für mich auch nach mehr als 100 Jahren etwas Zeitloses an sich; könnte man es vom Klang her nicht auch als Nachkriegswerk einordnen?

Für seine sinfonische Dichtung Prométhée. Le Poète du Feu ließ Skriabin ein visionäres Farbenklavier entwickeln, das es leider nie zur Marktreife geschafft hat. Für eine Vorführung eines solchen Lichtklaviers reichte es ebenfalls nur selten, wohl auch wegen der technisch schwierigen Umsetzbarkeit.  Heutzutage sind Lichtshows an der Tagesordnung; und natürlich braucht man für Lichteffekte auf und an der Bühne keine Tasten. Und doch wäre es interessant zu sehen, wie Töne mit zugeordneten Farben wirken. Ich werde bei der nächsten Gelegenheit noch mehr darauf achten, wie Klangfarben im wahrsten Sinne des Wortes untermalt werden…

Das vollständige Notenbild des Préludes ist auch in einer Datei im pdf-Format zugänglich.

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