Als ich vor einer guten Woche auf der Suche nach einem Sebo-Händler im Umkreis von Chemnitz war, um an passende Staubsaugerbeutel zu geraten, kam mir wieder die Familienbiografie von Meir Shalev (1948 – 2023) in den Sinn. Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger stellt ein quasi mystisches Objekt in den Vordergrund, das seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so gut wie alle Haushalte eroberte. Heutzutage spricht man weiterhin über dieses nützliche Gerät, gerade wenn es um den Saugroboter geht.
Die Kapitel 18-23 sind für mich die amüsantesten in diesem Buch, das den Leser an die Welt in einem Moshaw (oder Moshav) heranführt, einer „genossenschaftlich organisierte Siedlungsform“ in Israel, die anders als ein Kibbuz Privatbesitz zulässt. Jenes real existierende Moshaw heißt Nahalal, gut 100 Kilometer nördlich von Tel Aviv, etwa auf der Höhe der zweitgrößten Stadt Haifa gelegen. Man kann sich leicht vorstellen, wie befremdlich ein aus den USA importierter Staubsauger namens Sweeper gewirkt haben muss. Das dazu passende Zitat steht am Anfang des 20. Kapitels:
Das gleißende Chromglitzern, die Rundungen des Gehäuses, die großen Räder, die auf Scheu vor Arbeit und Anstrengung schließen ließen – all das vertrug sich nicht mit den Prinzipien des Moschaws und seinen Werten, und die Genossen bissen die Zähne zusammen und unterdrückten eisern jedes aufkeimende Verlangen.
Protagonisten sind neben Großmutter Tonia die beiden Onkel des Erzählers, der Schenker Onkel Jeschajahu und der Beschenkte Onkel Jizchak, der den Staubsauger in den Dienst stellt, nicht ohne zu prüfen, ob das Gerät „mit dem Stromnetz der britischen Mandatsverwaltung kompatibel“ war.
Verdacht schöpft Tonia, als sie die vom Sweeper bewirkte „absolute und mühelose Sauberkeit“ zur Kenntnis nahm. Zwei entscheidende Fragen stellen sich dabei: „Wo steckte der Staub, den ihr Staubsauger aufgesaugt hatte? Wo war der weggeputzte Dreck?“ So wird daraus ein wahrhaftiges „Mysterium“! Das klingt vergleichsweise harmlos: Ein Staubsauger könnte sich auch als „trojanisches Pferd“ oder auch als „Kollaborateur“ entpuppen, wie der Erzähler uns zu verstehen gibt. Was für Verschwörungstheorien daraus entstehen können! Hier wird schön ersichtlich, was ein Romancier aus einer Familiengeschichte machen kann, nämlich sie mit Wortwitz anreichern. Shalev ist das zweifelsohne 2009 mit dieser Veröffentlichung gelungen.
Das Geheimnis lüftet Onkel Jizchak, als er den Staubsauger öffnete:
In seinem Innern sah man allerlei Düsen und Walzen und Treibriemen und Transmissionen, und Staub und Dreck, und in der Mitte – hässlich, abstoßend und ekelhaft wie ein geblähter Krötenkadaver – ein prallvoller Stoffbeutel.
Großmutter Tonia lässt es sich nicht nehmen, noch näher an die Materie heranzurücken: Sie sieht „grauen Staub“, „tote Insekten“, „Menschenhaare, winzige Essenskrümel“; all das reichte aus, um ein Argument zu finden, den Sweeper in vier verschiedene Materialien (Stoffsack, Karton, Leintuch, Wolldecke) zu verpacken, damit nicht der geringste Dreck aus ihm je wieder entweichen möge. Und die Lagerung soll ausgerechnet in einem Badezimmer erfolgen, in das der Erzähler keinen Zutritt hatte! Angeblich verblieb das Gerät darin „vierzig Jahre“. Was für eine lange Zeit!
Auch die Verpackung wirkt besonders für die Großmutter Tonia obszön. Sichtbar ist
dem Anschein nach eine gewöhnlich amerikanische Hausfrau, in Wirklichkeit – der Teufel in Frauengestalt: die Lippen rot geschminkt, ein rotes Kleid mit weißen Tupfen am Leib, schmale Taille, üppiger Busen und kecker Po, dazu rotlackierte Nägel. (…) Schier alles an ihr zeugte von Verwöhntheit und Gefallsucht, Leichtsinn, Hedonismus und der Vergötterung des Privateigentums.
Das konnte unter den Dorfbewohnern nur Entrüstung hervorrufen! Die Vergötterung von Objekten ist ganz klar blasphemisch und kann nicht gut geheißen werden!
Allgemeine Fun Facts zum Staubsauger erfährt der Leser ebenfalls: Ein gewisser James Spangler erfand die erste elektrische Version (nach den vorsintflutlichen Modellen des 19.Jahrhunderts), die nicht viel mehr als „einen Besenstil, einen elektrischen Ventilator und einen Kissenbezug“ umfasste. Da erst ein kaufinteressiertes Ehepaar mit dem klingenden Nachnamen Hoover sich die Patentrechte sicherte, klingt bis zum heutigen Tage ein Innovator und kein Erfinder nach.
Heute würde ein solches Buch nicht mehr geschrieben werden. Die Vertriebswege haben sich eindeutig revolutioniert. Auch bei meinem trivialen Beutel-Kauf: Schließlich kam ich über eine Online-Bestellung sehr schnell an die gesuchten Objekte, auch wenn ich etwas bedauere, damit indirekt den guten alten Einzelhandel hintergangen zu haben. Doch lohnt es sich, mindestens 10 km Umweg für ihn in Kauf zu nehmen? Sei’s drum. Ich bin froh, dass ich dank Meirs Shalev jeden Saugvorgang mit dem Gedanken an eine besondere zivilisatorischen Errungenschaft auf mich nehme.
Das 2011 in deutscher Übersetzung erschienene Buch kann beim Diogenes Verlag problemlos bestellt werden. Die längeren Zitate sind auf den Seiten 165, 179 und 202 zu finden.
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