Die offizielle Devise lautet: „Durch die wilde Österreichs“. Wildnis  ist demnach das Schlagwort des seit 2019 bestehenden Luchs Trails,  auf dem ich vom 27. Juli bis zum 01. August 2022 zusammen mit meinem Bruder wanderte. Über das Panorama-Magazin des Deutschen Alpenvereins bin ich dank eines Artikels von Axel Klemmer im Jahr 2020 auf ihn aufmerksam geworden. Der Weg verläuft insgesamt durch drei österreichische Bundesländer; wir liefen die ersten sechs Etappen von Reichraming (ca. 20 km südlich von Steyr im oberösterreichischen Teil des Ennstals) bis nach Gstatterboden bei Admont, wo wir die Enns im steirischen Teil wieder in der Nähe hatten. Mit dem Rad kann man beide Orte an einem Tag verbinden; der Weg führt den Wanderer auf dieser ca. 100 km langen Teilstrecke durch die beiden Nationalparks „Kalkalpen“ und „Gesäuse“, die zum wichtigen Habitat des Luchses gehören. Durch einen kleinen Obolus trägt man im Falle einer Buchung bei den „Trail Angels“ auch zum Schutz dieser scheuen Wildkatzenart bei, die sich natürlich nicht vor unseren Augen im (Buchen-)Wald zeigte.

Auch Engel sind eher im Verborgenen tätig: Es wurden im Angebotspaket ganz unterschiedliche Unterkünfte (inkl. Halbpension) zusammen mit Gepäcktransport ausgewählt. So waren wir in Gasthöfen, im Matratzenlager auf Almen und einmal in einem Admonter 4-Sterne-Hotel („Spirodom“) untergebracht, so dass kein gewöhnlicher  Standard auf uns wartete. Und genau das macht ja das Reisen aus: Besondere Momente soll es geben, nicht nur angenehme.

Zahlreiche gab es tatsächlich davon auf dem Weg, die man kaum durch Bilder dokumentieren kann. Hier nur ein paar davon:  Eine Anliegerin namens Zita („wie die letzte Kaiserin“) erzählte von ihrer reichhaltigen Ernte („10 Kilo Tomaten und 21 Kilo Gurken“) , ein plötzlicher Bremsenangriff, den wir mit der zivilen Defensivwaffe „Anti Brumm“ ganz gut abwehren konnten; eine „Panoramadusche“ auf der Anlaufalm (nach der 1. Etappe)  im Reichraminger Hintergebirge, die im Freien zusammen mit Kaltwasser die luftigste Erfrischung war, die man sich nach einem achtstündigen Tag vorstellen kann; eine völlig verwaiste Laussabaueralm (nach der 2. Etappe) am Hengstpass, wo die Stille zusammen mit der abendlichen Brise hinein in die geöffneten Fenster eine unwirklich spürbar war, da man es einfach nicht gewohnt ist, stundenlang allein auf einem fremden Privatgrundstück zu verweilen und wir die charmante Wirtin Sieglinde Baumann erst nach Einbruch der Dunkelheit antrafen. Die nachmittägliche Brotzeit wirkte zum Glück bei mir noch nach; an jenem 28.07. fiel das Abendessen einfach aus: Sei’s drum, es gab genug „flüssig Brot“, gekühlt im Brunnen!

Hier ist nicht der Platz, den Weg näher zu beschreiben, die Luchs Trail-Homepage ist dafür genau die richtige virtuelle Anlaufstelle.  Ein Bild pro Tag möge genügen:

Reichraming
In Reichraming, am Start des Luchstrails (an der Eisenbahnbrücke kommen die Enns und der Reichramingbach zusammen)
Anlaufalm
Almgelände der Anlaufalm auf etwa 1000 m Seehöhe (im Hintergrund die Gesäuse-Berge)
Haller Mauern
Ortsteil von Hall mit den Haller Mauern, der Gebirgskette, an deren Flanke das Admonter Haus auf gut 1700 m Höhe liegt
Klinkehütte
Klinkehütte auf etwa 1500 m, unterhalb des Admonter Kalbling (2196m) im Nationalpark Gesäuse
Mödlinger Hütte
Oberhalb der Mödlinger Hütte (ca. 1500m), dahinter der Admonter Reichenstein (2251m); links daneben: Admonter Kalbling und Sparafeld
Enns
Die Enns mit dem Admonter Reichenstein

Der Weg lässt sich gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen (Reichraming besitzt sogar von Linz aus S-Bahn-Anschluss) ; Gstatterboden ist mit dem Bus mit dem IC-Bahnhof Liezen verbunden. Allgemein ist jedoch ein Auto zu empfehlen, wenn Gipfeltouren in den Nationalparks geplant werden.  Dieses Gipfelerlebnis ist zwar auch auf dem Luchs Trails möglich (zum Beispiel werden zwei Kogel auf der 5. Etappe „bezwungen“), jedoch werden die prominenten Berge des geheimnisvoll entrückten „Gesäuse“, die es durchaus mit gewissen Dolomitengipfeln aufnehmen können, nur in den Blick, nicht in den Angriff genommen. Die Charakteristik des Weges ist also moderat, jedoch ist die angegebene Marschzeit oft zu knapp bemessen:  Sieben Stunden für 21 km (2. Etappe) kann man beispielsweise bei über 1000 Höhenmetern schaffen, doch nur dann, wenn keinerlei Pause eingeplant wird oder man sich sehr athletisch fortbewegt. Bei Wärme und Gepäck ist das nahezu unmöglich; auch der Warnhinweis „Vorsicht bei Nässe und Höhenangst“ hinunter von der Anlaufalm hinunter zum Hintergebirgsbach ist unbedingt ernst zu nehmen. Selbst bei trockenem Wetter fühlten wir uns nicht gerade sicher auf diesem steilen Wegeabschnitt, was auch daran liegen kann, dass nach zwei Jahren Pandemie gewisse Wege von der Natur partiell zurückerobert werden. 

Im wahrsten Sinne des Wortes sind liegengebliebene Bäume einfache Hindernisse.  Das schwierigere Hindernis ist sicher das Mentale. Sechs Tage hintereinander wandern zu wollen ist nicht selbstverständlich. Und doch gibt einem der gesunde Körper das Vermögen mit auf den Weg, durchhalten zu können. Er hat oftmals genug Reserven; wenn genug Wasser aufgenommen wird, sollte bei durchschnittlicher Kondition kein Einbruch kommen. Wir hatten durchweg gute Wetterbedingungen; bei schlechtem Wetter wird man nicht auch daran gehindert, mal eine Etappe ausfallen zu lassen. Das meinte auch zurecht Gottfried Härtel, Wirt des Admonter Hauses: Nur weil man Anspruch auf eine Buchungsleistung hat, sollte man niemals diese „auf Teufel komm raus“ (diese Wendung kommt mir angesichts bestimmter Wetterküchen in den Sinn) einlösen wollen.  Mut und Verstand müssen zusammen passen; auch das gilt für den eher harmlosen Luchs Trail. Wenn bei sechs Etappen eine davon sprichwörtlich „ins Wasser fällt“, sollte man damit gut leben können. Und gewisse Defizite (teils spärliche Ausschilderung) lässt man einfach links liegen; die Wege-Engel halten ganz gewiss die Stellung über den heißen Draht, sprich: über eine Hotline!

Informationen zum Weg und zu Buchungen sind über die Luchs Trail-Homepage möglich. Informationen zum Nationalpark Kalkalpen und zum Nationalpark Gesäuse sind auch hilfreich.