Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Monat: Januar 2023

Sprachliche Eskapaden: Über einige Werbebotschaften der Berliner Verkehrsbetriebe

Wenn man einen Deutschkurs mit der etwas sperrigen Bezeichnung „Marketing unter interlingualem Aspekt“ unterrichtet, dann sollten sprachliche Finessen unter die Lupe genommen werden. Im Dezember 2022 beschäftigte ich mich im Kurs mit dem Auftritt der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in den Sozialen Medien. Mir waren schon vorher Plakate an Berliner Haltestellen aufgefallen, die großen Wert auf das Spiel mit der Sprache legen. Und eine längere Recherche auf Instagram bestätigte dies. Besonders ausführlich kam folgendes Plakat zur Geltung, das angeblich ein ungestelltes Foto aus dem Jahr 2013 enthielt. Es kursierte danach auch im Internet (spätestens seit Januar 2015 auf einem tumblr-Fotoblog zu Berlin) und wurde am 18.01.2016 von der BVG auf Facebook mit dem Kommentar „Schon wieder Fashion Week. Da tragen wir doch einfach noch mal die alten Plakate auf.“ hochgeladen:

BVG-Plakat
Plakat der BVG am U-Bahnhof Hermannplatz, fotografiert um 2015

Das Plakat setzt geschickt Bild und Text aus dem realen Leben in Szene und regt zum Schmunzeln an, da der ungewöhnliche Ausdruck „den Stil hochfahren“ auf einen wohl älteren Herren trifft, der zum einen wortwörtlich eine Rolltreppe in einer Berliner U-Bahnstation der U1 (vermutlich Nollendorfplatz) hochfährt und – ästhetisch gesehen – als ungewollte Werbe-Figur herhält. Seine sommerliche Kleidung vermittelt einen casual look, der ins Auge sticht. Wer sich für Mode interessiert, wird das Stechen aufgrund des ausgereizten Karo- Formspektrums von Hemd und Shorts zusammen mit den weißen Strümpfen unangenehmer und intensiver empfinden als jemand, der auf praktische Freizeitkleidung steht. Insofern könnte man gut das „Hochfahren“ als Vorschlag deuten, die Fashion Week zum Anlass für etwas stylishere, höherwertigere Kleidung zu nehmen, die sich auch für höhere Anlässe eignen. Auf jeden Fall wird hier ein kommunikativer Zusammenhang zwischen einem öffentlichen Verkehrsmittel, einem Fahrgast und einer Veranstaltung hergestellt, denn natürlich ist es denkbar (wenngleich nicht gerade wahrscheinlich), dass die abgebildete Person die halbjährlich stattfindende Fashion Week besuchen möchte. In diesem Kontext ließe sich auch der augenscheinliche Fahrgast in ein positives Licht rücken, denn er nutzt die öffentlichen Verkehrsmittel  in einem lässigen, luftigen Look – und die Verbindung zur Fashion Show evoziert einen aktiven „Lifestyle“. Dieser wohlwollende Ansatz stammt von mehreren Studenten aus meinem Marketing-Seminar aus China / Taiwan, von denen einer seine Gedanken auch schriftlich festhielt. Ich zitiere:

Die ersten Gedanken, wenn man an den Begriff „Fashion“ denkt, sind für viele Menschen Bekleidung und damit in Verbindung die jüngere Generation. Fashion befasst sich jedoch nicht nur mit Bekleidung, sondern auch mit einem Lebensgefühl und -stil, dem sogenannten Lifestyle. Sich wieder jung und modisch zu fühlen, bedeutet nicht, dass man sich sehr schick oder trendbewusst anziehen muss. Die ältere Generation hat ebenfalls die Möglichkeit an diesem Trend teilzunehmen und sich wieder jung zu fühlen, indem sie wie früher mit der Bahn fährt.

Diese Deutung ist sicher ebenfalls im Sinne der BVG und auch des Veranstalters der Fashion Show – Stichwort Zielgruppenerweiterung. Darauf komme ich noch einmal zurück.

Spielerisch-ironisch ist auch ein Instagram-Post vom 13.10.2022 anlässlich eines Backstreet-Boys-Konzerts gemeint, bei dem man ja auch von einer Show sprechen kann. Die BVG kommentiert ihn folgendermaßen: „Für alle, die es nicht kennen: Das sind die Elevator Boys der 90er.”

BVG - Backstreet Boys
Instagram-Post der BVG am 13.10.2022 anlässlich des Backstreet-Boys-Konzerts in Berlin

So mancher Boygroup-Fan könnte hier sicher die Rolle des Telefonjokers übernehmen, der alle Songtitel korrekt nennen kann. Bis auf den letzten Titel hatte ich alle parat – natürlich kein großes Kunststück, wenn man die 90er Jahre als Teenager erlebt hat (und ich bislang die Elevator Boys überhaupt nicht kannte). Da ich oft mit der U5 fahre, ist natürlich für mich die Verballhornung des Titels Larger than life großartig, wenn man bei englischer Aussprache sich einen Reim aus „life” und „U5” macht! Die deutsche Übersetzung von „get down” ist in Verbindung „You’re the one for me” im Original bzw. „the Maskenpflicht’s still around” überhaupt nicht trivial: dank von Nachschlagehilfen fände ich die Übersetzung „Merke Dir!” nicht schlecht (im Original-Refrain heißt es „and move it all around”). Diese Bedeutung war mir zuvor unbekannt.

Ein weiterer, sehr auffälliger Instagram-Post, ebenfalls aus dem Oktober 2022, wirbt mit dem 29-Euro-Ticket, indem es ganz auf Jugendsprache setzt:

Jugendsprache bei der BVG
Instagram-Post der BVG am 25.10.2022 zur Einführung des 29-Euro-Tickets

Ich gebe zu, dass ich hier ohne weitere Informationen chancenlos wäre und delegiere eine gute Übersetzung dem kreativen Leser, der auch mehr mit gommemode (super stark) bzw. flexen (mit seinem Verhalten angeben) und smashen (eine intime Beziehung eingehen) etwas anzufangen weiß. Nun kann keiner sich mehr darüber beklagen, dass gewisse sprachliche Register nicht bedient würden. Aus dem BVG-Kommentar wird diese sprachliche Stilblüte bewusst ironisch verzerrt: „Unser Arbeitskreis BVG 30+ präsentiert seine neueste Arbeit zum Thema ‚Tagesaktuelle Zielgruppen-erweiterungsmaßnahmen’”. 30+? Die (An-)Sprache soll für die gedacht sein, die noch die 1990er Jahre erlebt haben??

Kompliment an die Kreativität der Werbetreibenden, die hier Plakatkunst in die virtuelle Welt verlagern. Hierfür brauchen wir in Zukunft keine Museen, wohl aber gut gesicherte digitale Archive, damit wir noch 2030 und später wissen, dass 2022 smashen (Smash ist das Jugendwort des Jahres 2022!) und cringe (peinlich) als Jugendwort 2021 salonfähig geworden sind!

Die BVG-Imagekampagne Weil wir Dich lieben wurde von der Agentur GUD.berlin GmbH entwickelt und läuft seit 2015. Sie ist ein gutes Beispiel für das sogenannte Content Marketing.

Angriffslustig: Zu einem höchst kurzweiligen Klaviertrio

Ich musste mir einen Ruck geben, von Zwickau zu einem Kammerkonzert nach Bayreuth zu fahren. Auch wenn dies dank der guten Autobahnverbindung  in ca. 75 Minuten zu bewältigen ist, so klingt es merkwürdig, für einen Konzertabend von Westsachsen nach Oberfranken den Weg auf sich zu nehmen. Bis in die 1990er Jahre, also bis zur Fertigstellung der Elstertalbrücke der A72, muss dieser Weg auch noch nach der Wiedervereinigung zäh gewesen sein – und bis zum heutigen Tag hat man so gut wie keine Chance, angemessen mit der Bahn in den späten Abendstunden diesen Weg zurückzulegen. Die Gefahr des Strandens in Hof ist nicht gerade niedrig. 

Doch weil ich unbedingt einmal den renovierten Veranstaltungsort „Das Zentrum“ wiedersehen wollte, den ich im Festspielsommer 2004 so oft als Praktikant des Festival Junger Künstlers aufsuchte, hatte ich einen Grund mehr, mich nach der Arbeit ins Auto zu setzen. Dass während der Konzertpause von zwei Konzertbesucherinnen abfällig über diesen, etwas spröden Ort gesprochen wurde, konnte und wollte ich nicht hinnehmen, denn ein Jugendkulturzentrum sollte kein prachtvoller Ort sein. Es steht für neuartige Formate zur Verfügung, was das Publikum  auch anzuerkennen wusste:  Das schöne Wort „extravagant“ schnappte ich als Kommentar zum Programm auf. Der Ort schafft letztlich den Rahmen für dieses positive Urteil!    

Mich reizte besonders ein hervorragend zusammengestelltes Konzertprogramm, das als „Trios des femmes“ betitelt war. Die Kulturfreunde Bayreuth luden dazu Ende November 2022 das junge Trio Lilium (Silvia Rozas Ramallai, Flöte; Max Vogler, Oboe; Knut Hanßen, Klavier) ein. Ausschließlich wurden Werke von Komponistinnen aufgeführt, von denen ich zuvor nur Clara Schumann und Lili Boulanger zuordnen konnte. Vor allem reizte mich das zuletzt gespielte Trio der aus London stammenden Madeleine Dring (1923-1977), das anders als die zuvor gespielten Trios von Germaine Tailleferre und Mélanie Hélène Bonis für die Originalbesetzung Flöte, Oboe und Klavier komponiert worden war.

Zu Beginn  des Neuen Jahres könnte keine Spielanweisung besser passen als „with attack, but not too heavily“. Sie steht am Anfang des Trios aus dem bewegten Jahre 1968. Dieses strahlende C-Dur-Harmonie ist zusammen mit dem ausgeklügelten Rhythmus unverwechselbar. Das Notenbild zeigt die vielen Taktwechsel, die mich an einen Schwank erinnern, wobei im Wort ja auch das Schwankende, Wechselhafte steckt. Humor, Witz und Freude lassen sich kaum besser instrumentieren:

Trio von Madeleine Dring
Madeleine Dring: Trio für Flöte, Oboe und Klavier, Josef Weinberger Verlag, 1970, Takt 1 – 10.
Trio von Madeleine Dring
Madeleine Dring: Trio für Flöte, Oboe und Klavier, Josef Weinberger Verlag, 1970, Takt 11-22.

Was mich beeindruckt, ist die lebensnahe Charekteristik dieser Musik, die sich auch im schlichten zweiten Satz, der Ohrwurmpotenzial hat, und dem teils anmutigen („gracioso“), teils virtuosen („brillante“) dritten Satz zu hören ist. Sonst hätte auch nicht die Intendanz der Bielefelder Philharmoniker ein kleines (Appetizer-) Video mit dem schönen Titel Der Klang der Stadt gedreht , in dem der erste Satz von Drings Trio vom Trio Tastenwind interpretiert wird, wobei hier die Oboe durch die Klarinette ersetzt wurde.

Im Programmheft, das das Trio Lilium ausdrücklich vor dem Konzert als gut recherchiert lobte, steht zu Madeleine Dring:

Dring strebte danach, in ihren Kompositionen Neuheiten und überraschende Momente zu präsentieren in der Hoffnung, dass ihre Musik einerseits ein klein wenig schockierend wirkte, andererseits aber den Hörer auch zum Schmunzeln brachte.

Der Pianist Knut Hanßen vergaß nicht zu erwähnen, dass Drings Ehemann ein Oboist gewesen ist, was sich sicher förderlich für die Komposition auswirkte. Darüber hinaus steckt in dieser Musik so viel Bühnenreifes, dass es nicht verwundert, wenn ich lese, dass Dring „Musik für Revuen, für Theaterstücke und für Fernsehproduktionen von Bühnenstücken“ schrieb. Mit diesem Schaffen ist es nicht leicht, bekannt zu werden, weil es sicherlich keine großen, opulenten Werke sind. Das ist bei vielen Komponisten nicht anders – nur die wenigsten werden wirklich bekannt.  Umso wichtiger, sich regelmäßig Kompositionen zu widmen, die einem womöglich nur einmal im Leben live begegnen. Dem Trio Lilium bin ich genauso dankbar wie den Kulturfreunden Bayreuth.

Das Konzertprogramm findet sich hier. Die Noten des Trios lassen sich über die Seiten der Pianistin Caecilia Boschman finden. Auf Youtube gibt es eine gute Aufnahme mit Jeanne Baxtresser (Flöte), Joseph Robinson (Oboe), und Pedja Muzijevic (Klavier).

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén