Museen definieren sich über ihre Ausstellungsstücke. So können wenige Gegenstände vieles plastisch verdeutlichen, was in der Literatur nur schwer darstellbar wäre. Im Esche-Museum in Limbach-Oberfrohna bei Chemnitz wird die Geschichte der regional stark verankerten Textilindustrie anschaulich gemacht. Im August 2020 bekam ich in einer Spezialführung mit Freunden einen sehr guten Einblick. Sonst hätte dieser Notiz-Blog-Artikel nicht entstehen können. Gerade im Jahr 2020, anlässlich der Landesausstellung „Boom“, bei der 500 Jahre Industriekultur in Sachsen aufbereitet werden, ist ein Besuch empfehlenswert. Es zeigt anschaulich, dass Kultur- und Industriegeschichte zusammen gehören.

Die drei folgenden, im Museum vertretenden Gegenstände zeugen von der weitläufigen Geschichte der (Textil-)Industriekultur, die über die Region hinaus von großer Bedeutung ist: Eine Abbildung von Louis de Silvestres opulentem „Allianzporträt“ (das Gemälde befindet sich in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister) zeigt Friedrich I. von Preußen und August II. von Polen, zugleich Kurfürst von Sachsen:

Allianzporträt

Louis de Silvestre (1675-1760): Allianzporträt von König August II. von Polen und Friedrich Wilhelm I. von Preußen (Gemäldegalerie Alte Meister Dresden, vor 1730)

Friedrich (rechts im Bild) hält nichts von neuster Mode, August (links im Bild) inszeniert sie geschickt und trägt sichtbar Seidenstrümpfe, auf die es im Museumskontext ankommt. Modisch sahen sicher beide Herrscher im Zeitalter der Manufaktur-Produktion aus, die heute wieder mehr geschätzt wird, nicht erst, seitdem es gewisse Läden mit dem Namen „Manufaktur“ gibt….

Johann Esche (1682- 1752), Strumpfwirker und Stuhlmacher im Rittergutsdorf Limbach unter Antonius III. von Schönberg und dessen Sohn Georg Anton, entdeckte nach einer Legende in Dresden den wohl einzigen seidengängigen Strumpfwirkstuhl in Sachsen. In Frankreich waren die Könige mit gewirkten Seidenstrümpfen vor der Revolution bestens bedient; Seidenstrümpfe galten im wahrsten Sinne des Wortes als vorzeigbar. Nach der Revolution waren diese genau wie die Kniebundhosen („culottes“) out, so dass darauf spezialisierte Firmen ihr Geschäft umstellen mussten. Bestehen blieb die Kulturtechnik des Wirkens bzw. Kulierens, gerade für Unterwäsche besser geeignet ist als traditionelle Web- und Stricktechnik:

Handkulierstuhl
Handkulierstuhl (ca. 1800) im Esche-Museum (Foto: Dietmar Träupmann)

„Wirken ist eine Fortentwicklung des Strickens. Es werden statt einer Masche nach der anderen eine ganze Maschenreihe in einem Arbeitsschritt gebildet“, erläutert Museumsleiterin Frau Dr. Barbara Wiegand-Stempel. Hier kommt mir der immer noch geläufige Ausdruck „engmaschig“ in den Sinn. Das Esche-Museum dokumentiert eindrucksvoll, wie bis zum Ende der DDR Wirkstühle sich technisch entwickelten. Die Familie Esche hat bis zum Ende des 2. Weltkriegs großen Anteil daran; im 19. Jahrhundert existierten sogar zwei Esche-Firmen von zwei Geschwistern, von denen die größere, die Firma Moritz Samuel Esche, es bald nach Chemnitz zog und zum größten Strumpfhersteller Deutschland avancierte. In Limbach wurde die erste „Wirkschule“ überhaupt vom Gewerbeverein Limbach gegründet, woran auch die Familie Esche beteiligt war. Die Schule wurde von mehr als 100 Fabrikanten, Kaufleuten und Handwerken, die in einem „Strumpfwirker-Fachverein“ organisiert waren, finanziert.

Der prominenteste Unternehmer aus der Familie war zweifelsohne Herbert Eugen Esche, der 1903-1904 von Henry van de Velde die erst ab 1998 wieder restaurierte Villa Esche in Chemnitz erbauen ließ. Architektur-Fans kommen hier auf ihre Kosten – van de Veldes erster Bau in Deutschland ist zum Glück nicht den Bombenangriffen von 1945 zum Opfer gefallen. Wie vielseitig Ästhetik damals geschätzt wurde, zeigt sich daran, dass van de Velde mehrere Firmenlogos entwerfen und Edvard Munch 1905 in der Villa Esche künstlerisch arbeiten durfte und dabei nicht nur die Familie Esche porträtierte. Man kann davon ausgehen, dass die Familie Esche mit diesen prominenten Künstlern nicht prahlen wollte, sondern künstlerisches Engagement einfach zu ihrem Selbstverständnis gehörte. 
Nach 1945 flüchteten viele Familienmitglieder ins Ausland, obwohl das Unternehmen nicht verstaatlicht wurde. Herbert Eugen Esche ging in die Schweiz, wo er häufiger auf van de Velde traf. Er sah seine Chemnitzer Villa nie wieder. Die Textilindustrie in West- und Mittelsachsen führten nun andere (Staats-) Unternehmen an.  Noch heute ist unter anderem die Firma Noon in Limbach-Oberfrohna präsent, die mit dem Slogan „Fine German Knitting“ wirbt. Die Logik, dass Textilien in sogenannten Billiglohnländern hergestellt müssen, damit sie erschwinglich bleiben, kann somit widerlegt werden. Gebrauchswäsche darf nicht als minderwertig vermarktet werden, scheint es.

Ein Firmenplakat zeigt sehr schön die Fabrikation von Handschuhen mit all ihren Arbeitsschritten.

Die Fabrikation von Ukor - Handschuhen
Die Fabrikation von
„Ukas“- Handschuhen der Firma C.A. Kühnert (Foto: Dietmar Träupmann)

Mir kommt dabei der Begriff „Betriebsablauf“ in den Sinn, den wir heute eher vom Bahnfahren kennen, wenn es hier zu Verzögerungen kommt.  Jedenfalls sind ganz oben nach der „Spulerei“ die „Schärerei“, „Spannerei“ und auch die „Wirkerei“ zu sehen. Die vielen Arbeitsschritte belegen auch schön, wie wertvoll ein qualitatives Paar Handschuhe sein muss. Man schätzt dann den Gegenstand umso mehr, wenn man weiß, wie viel Arbeit dahintersteckt. Die heutige Massenproduktion verschleiert dies, gerade auch, weil ein gewöhnlicher Kunde kaum Einblick in heutige Fabrikationen erhält. Schließlich erlaubt sich die Frage: Warum sollte nicht auch Mode zu den Schönen Künsten gehörten? Kleider machen Leute (bekanntlich schön).

Vielen Dank an das Esche-Museum Limbach-Oberfrohna, vor allem an Frau Irmgard Eberth, Herrn Michael Nestripke, an die Leiterin Frau Dr. Barbara Wiegand-Stempel sowie an die Ratsschulbibliothek Zwickau für die Auskünfte und die Bereitstellung der benötigten Medien. Der „Förderverein Esche-Museum e.V.” hat dazu weitere wissenswerte Details im Internet aufbereitet.