Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Monat: Juli 2019

Falsch – ganz ohne Fehler: Über einen Film namens „Wrong“

„Das kann doch nicht wahr sein!“ So ein Ausruf lässt uns an den Kategorien „wahr“ und „falsch“ zweifeln. Die Gesetze der Logik sind die letzte Rettung. Unlogisches Erzählen hält keiner lange durch. In einem 90-minütigen Film ist so etwas ein Ding der Unmöglichkeit. Und wenn das Falsche zum Leitmotiv wird, dann ist eigentlich etwas faul. Nicht so bei Quentin Dupieux und seinem Film Wrong.

Quentin Dupieux – zuvor ein für mich vollkommen unbekannter Name. Als Mr. Oizo ist der Mittvierziger aus Paris als Musikproduzent aktiv, und wenn man einen Musik-Streaming-Dienst nutzt, dann weiß man, dass sein Sound eine recht große Fangemeinde besitzt. Dank Arte habe ich nun seinen Film Wrong anschauen können; es ist ein wahres Kunstprodukt, in erster Linie wegen seiner Originalität und seinem unkonventionellen Erzählstil. Wie erzählt wird, entbehrt stets des Ursache-Wirkung-Prinzips, was verwirrend, aber auch befreiend wirken kann. Denn wenn auf „klassische“ Weise Handlung gefilmt wird, dann wirkt das oft emotional nach, aber Emotionen lösen sich auch oft schnell wieder in Luft auf.

Besonders in Wrong wirkt vieles falsch, und das offensichtlich Falsche zog mich von Anfang an in den Bann. Was ist eigentlich falsch? Auf einer ersten Ebene wird eigentlich klassisch erzählt: Die Hauptperson Dolph Springer ist auf der Suche nach ihrem verschwundenen Hund, der vom einem skurilen Unternehmer namens Master Chang entführt wurde, dessen Geschäftsmodell es ist, Menschen über (vorübergehende) Verluste wieder Liebe und Verlangen spüren zu lassen, damit man dem Haustier nichts mehr antut – Stichwort „abuse prevention“. Dieser drückt ihm den 2. Band seines Buchs My life. My dog. My strength in die Hand, mit dessen Hilfe er telepathisch Kontakt zu seinem Hund aufnehmen soll.  Da der Hund durch einen Unfall während der Entführung auch noch entlaufen ist, soll sich ein Detektiv der Sache annehmen, der dank Pauls Hinterlassenschaft – Hundekacke – das Hundegedächtnis und das Unterbewusstsein visualisieren kann. Im filmischen Dialog klingt das so:

– We’ve accessed the turd’s memory. The one I picked out from your garden. Those are its first memories from within Paul’s intestine.

– I’m sorry, I don’t get it.

– Okay, it’s very simple. I’ve plugged Paul’s shit into a device that lets me gather data and convert that data into video signals. Then, I’ve also plugged it into another device which lets me scan that same shit’s subconscious, as I please, and record the information.

Von Anfang an sind die Dialoge bewusst schräg und kommen einfach unpassend vor. Das macht sie wiederum köstlich-erfrischend. Beispielsweise, wenn Dolph vor dem Gang zur Arbeit, die er eigentlich gar nicht mehr hat, Pizza bestellen möchte, obwohl er vorerst keinen Hunger hat, und sich bei der Bestellannahme-Mitarbeiterin erkundigt, warum das Logo des Pizzaservice ein Motorrad fahrendes Kaninchen darstellt:

– I get the whole idea about a rabbit being fast. I mean, that makes sense. But why a motorcycle? The rabbit’s fast enough on its own, so the motorcycle’s overkill. I mean, don’t you think that’s a little weird?

– Yeah, it’s true. I haven’t thought about it, to be honest. Now that you’ve pointed it out, it strikes me as strange too. Because now I think of the motorcycle as being fast, not the rabbit. I mean, even if he’s driving it, he’s no longer the cause of the speed.

– Technically, the motorcycle is.

-Yes, I agree it’s a bit ambiguous.

Dolph gibt am Ende zu, dass er angerufen hat, um sich von seinem entlaufenen Hund abzulenken. Hier wird also wieder realistisch die logische Lücke geschlossen, so dass das Telefonat nicht vollkommen sinnfrei erscheint. Das angeblich zweideutige Logo, verweist auf den ganzen Film, der das Unstimmige bzw. Ambivalente zum Prinzip erklärt. Es geht hier um die Wahrnehmung und Interpretation von Bildern, die eigentlich banal und nebensächlich ist. Wer würde schon viel Aufhebens um ein Pizzadienst-Logo machen?

Es gibt viele weitere Handlungssequenzen in dem Film, die bewusst unstimmig sind. Warum wird schließlich doch Dolph eine Pizza geliefert, die er postwendend in die Mülltonne schmeißt, was wiederum der Gärtner Mike beobachtet, die Pizza heimlich herausfischt, im Pizzakarton zusätzlich die Kontaktnummer der Lieferservice-Mitarbeiterin findet und sie kontaktiert.  Ohne das je etwas über das Kennenlernen gezeigt wird, verbringen beide eine Nacht zusammen, kurz bevor Mike durchs Dolphs Telepathie-Einflüsse an Herzversagen stirbt und im Sarg während der Bestattung davon träumt, wie sein Leben als Gärtner und (künftiger) Vater weitergehen könnte. Er stirbt endgültig (erleichtert) seinen Tod, nachdem er aus seinem Traum erwacht ist. Die Liebhaberin stößt unterdessen auf Dolph, den sie ursprünglich kontaktieren wollte, und fragt sich, warum er so anders aussehe, ohne scheinbar diese Person als eine andere erkennen zu wollen (Bei der Kontaktaufnahme mit Mike hat sie sich immerhin über den stimmlichen Unterschied gewundert). Master Changs Traum über die Wiederbegegnung von Dolph und Paul an einer Bushaltestelle  – vor den Augen des „Unternehmers“ läuft der Hund aus dem Bus auf Dolph  zu – erfüllt sich am Ende, obwohl eigentlich der Detektiv seine Arbeit auf Master Changs Befehl abbrechen musste und auf seiner Rechnung sitzen bleibt.

Dupieux will auf humorvolle Weise die Logik zerstreuen, was in keiner Weise verstörend ist. Dafür ist es zu eindeutig, dass es sich um „Comedy“ handelt. Eine Rezension sprach zurecht von „textbook surrealism“. Wenn man alle möglichen Filmgenres von der Romanze bis zum Action-Kino durch den Kakao gezogen haben möchte, wird man den Film großartig finden. Ganz ohne Erzähllogik sind die surrealen Bilder stark; die Dialoge wirken einfach nur neben der Spur. Bei Wrong schaltet man am besten den Verstand aus, der auf Sinnsuche aus ist. Das Sinnlose ist eben manchmal auch voller Witz.   

  • Weitere Informationen zum Film: Auf Arte ist bis Anfang 2020 eine Masterclass mit Dupieux zu sehen, wo er 2018 am Rande eines Filmfestivals in La Roche-sur-Yon seine Filme erläutert. Bis Mitte August ist bei Arte sogar der Film online. Auch danach lässt sich Einblick ins Skript nehmen. Die Homepage zum Film lohnt einen Besuch; und die DVD lässt sich am besten über amazon bestellen.

Da wird es höchste Eisenbahn…genau hinzuhören!

Wir haben so lange nachgedacht, bis wir wütend waren

Dieser Songtitel der Berliner Singer-/Songwriter-Band Die höchste Eisenbahn aus dem Album „Wer bringt mich jetzt zu den anderen“ ist bewusst schräg. Wenn man so einen Satz in einem persönlichen Erfahrungsbericht schreiben würde, dann wäre etwas faul: Das Nachdenken führt zur Wut? Auch wenn das Lied auf den ersten Blick gar nicht politisch gestimmt ist, so fällt mir zurzeit die angebliche „Hinterzimmerpolitik“ für die Brüsseler EU-Institutionen ein. Man scheint etwas auszukungeln; und dann sind über den Kompromiss andere wütend, aber vielleicht auch insgeheim die Verhandlungspartnerinnen und -partner selbst. Nun, bei so vielen Mitgliedsstaaten wäre es naiv anzunehmen, dass man sich in transparenter Weise einigen würde. Es ist ein manchmal Kunststück, sich überhaupt zu einigen. So ist es oft auch in der Zweisamkeit: Wie lange kann es dauern, bis überhaupt ein Ergebnis herauskommt?

Im Lied gibt es die Zeilen

Wie ein Rennpferd läuft, wie ein Uhrwerk tickt
Du willst nichts davon wissen, solange du jung bist

Die Höchste Eisenbahn schreibt Texte, die bewusst unstimmig sind. Denn die Sprache lässt auch hier auf inhaltliche Unstimmigkeiten schließen. Wir kennen die Ausdrücke „wie der Hase läuft“ und „wie ein Mensch tickt“. Dann wären die Zeilen eindeutiger, stimmiger. Ob nun ein Hase oder ein Rennpferd eingesetzt wird, wir ahnen, dass es hier um Uneinsichtigkeiten geht. Was bringt es, wenn das Leben zusammen ein Füreinander und Miteinander ist, und man doch vieles nicht begreift? Am Anfang des Liedes heißt es lakonisch:

Ein neuer Traum, der nicht besser ist
Dir fällt alles nur ein bis du’s wieder vergisst

Der Schlüssel steckt von innen
Und das Licht geht aus
Du wirst immer für mich da sein
Stehst im Treppenhaus

Im Treppenhaus, einem symbolischen Ort des Dazwischen, ist es ohne Licht höchst unangenehm, auch ohne Einsamkeit und lästiges (Schlüssel-)Suchen. Neues (Träumen) ist nicht besser, Einfälle und Vergessen gehen Hand in Hand, es bleibt statisch; man dreht sich in Gedanken um sich selbst.

Das Sonderbarste im Lied ist ein wenige Sekunden dauerndes französisches Voice-Over, das kaum zu verstehen ist. Darüber liegen im Internet auch keinerlei Informationen vor. Jemand fragt eine Person, wie alt sie ist. 24, 25? „La crise, c’est vous“ lässt sich noch am besten verstehen. Wer ist mit „vous“ gemeint? Jemand, der sich das Lied anhört?  Davor ist von „une politique au service de l’argent et des privilèges“ die Rede, zu der die befragte Person Stellung nehmen soll. Also fällt die Politik doch über die Hintertür ein. Es geht sowohl um große als auch um kleine Unstimmigkeiten. Ohne klare Botschaft. Wie so oft bleiben auch hier sämtliche Fragen offen. Und die Musik: Jedenfalls ist der Sound von Die Höchste Eisenbahn mehr als stimmig-unstimmig: nicht bierernst, sondern leicht unterkühlt, in diesem Lied auch mit Hilfe einer „Kinderorgel“, wie Die Zeit in ihrer Kurzrezension zum Album am 25.08.2016 leicht belustigt schrieb. So steigert sich die Wut nicht noch weiter…

Hier gibt es eine Hörprobe zum Lied; Tourdaten gibt es auf der Homepage und Alben der Band beim Label Tapete Records.

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén