Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Schlagwort: Zwickau

Nun geht es um die Wurst! Gedanken zum Zwickauer Würstelmann

Ein Behälter hat es im wahrsten Sinne des Wortes in sich. Gerade wenn er an einen goldenen Schrein erinnert. Da können eigentlich nur besondere Stücke drin sein! An einem Donnerstag im milden Januar 2020 stelle ich mich eine gute Stunde neben Egbert, den Vater von Thomas. Beide nehmen die Rolle des Würstelmanns ein, und das schon seit Anfang der 90er Jahre. Egbert muss seit Dezember krankheitsbedingt auf seinen Sohn verzichten; tapfer bedient er „durch die Bank“ freundliche Kundschaft, für die er „ein bisschen Seelsorger“ ist. „Donnerstags geht es immer langsam los“, sagt er. Und sofort kommentiert er, dass just heute die Würstel ein „bisschen dicker“ seien, das liegt „an den Därmen“. Natürlich sagt er es den Kunden etwas jovialer: „Gestern war mehr Bock drin, heute ist mehr Wurst drin“.  Egbert ist sich bewusst, dass viele Kunden am liebsten die absolute Gleichförmigkeit lieben, denn hier fange schon der Neid an: Innerlich kann es schon beim Anblick rumoren, wenn man eine „dicke“ und keine „lange“ wie manch anderer bekommt. Also lieber freimütig sagen, und wenn es „130 mal“ sein muss, dass heute keine Idealform vorliegt. 

Vor einem Jahr, im tiefsten Zwickauer Winter, fiel mir jener „Würstelkasten“ aus Messing auf, mit dem der  Zwickauer Würstelmann Woche für Woche auf dem Georgenplatz in der Robert-Schumann-Stadt präsent ist. Bei Wind und Wetter verkauft er „von Handwerksbetrieben“ Bockwürste, Wiener, Bauernwürste, Käseknacker, Debreciner, und sogar Weißwürste. Deren Qualität ist im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichnet!

Egbert erzählt auch von den DDR-Zeiten, in denen er als Lackierer arbeitete. Was er sagt, bleibt im Kopf hängen. Er sah viele Wohnungen und damit auch viel vom Sozialismus. Da rumorte es im Gebälk – damals war Materialermüdung, wie es so poetisch heißt, mehr als nur sichtbar. Es konnte durchaus passieren, dass für einen Zaun der Maschendraht geliefert wurde, aber nicht die „Krampen“.  Im Zeitalter des Internets unvorstellbar. In puncto Würstchen konnte süßer Senf konnte damals immerhin aus der Tschechoslowakei beschafft werden. Jede erfolgreiche Lieferung musste damals ein Abenteuer gewesen sein; dagegen sind heute Mausklicks oder ein paar Fingerübungen auf dem Smartphone geradezu langweilig….

Die Boom-Zeiten sind beim Würstelmann lange vorbei; vor allem in den 90er Jahren bildeten sich angeblich lange Schlangen am Stand. Die Inspiration kam damals, kurz nach der Wende, aus Hof in Hochfranken. Heute ist das unvorstellbar; es scheint, dass die Leute vorher sich abstimmen, so gleichmäßig überschaubar kommen sie an den Stand. „Die Laufzonen verändern sich“, sagt Egbert. Und natürlich weiß auch er, dass die Stadt früher mehr Einwohner hatte als heute. Immer wieder kam auch mal die Prominenz zum Probieren: Ein sächsischer Innenminister (Heinz Eggert) wollte unter anderem den Wurst-Imbiss einnehmen, und Egbert erzählt, wie ein bayerischer Banker des öfteren regional produzierte Weißwürste in rauen Mengen in Richtung Bayern verfrachtete, so eine gute Qualität würden sie aufweisen.

„Nach Mischmasch sieht die Wurst, von außen betrachtet, auch nicht aus. Glänzende, pralle Häute, abgeklammerte Enden, klare Begrenzungen der Ränder, zur einen Seite der Krümmung der Erde hin, zum anderen dem Weltraum entgegengebogen (…) Die Würste gehören zu einer alten Welt, in der die Dinge Begrenzungen hatten, vorne und hinten.“. So beschreibt Anna Gien in der “Zeit” vom 16.01.2020 das Phänomen Wurst. Dieses Stück fleischhafter Mythos ist ein Behältnis für sich; eine klassische Rand-Erscheinung. Da wäre es ja gelacht, wenn die fleischlose Variante nicht auch in Erscheinung träte!  

Der Würstelmann ist immer noch eine Institution: In Zwickau ist das Ende der fleischhaltigen Wurst noch nicht absehbar. Es wäre ein Verlust. Jedenfalls würde auf dem Georgenplatz etwas Wichtiges fehlen: Ganz unabhängig vom Produkt würde die persönliche Ansprache fehlen, die nichts Marktschreierisches hat. Hier wird kein Reibach gemacht; jeder Euro ist ehrlich verdient. Die eine Stunde bringt ordentliches Salär, doch hier merke ich, dass es eigentlich verlogen ist zu sagen, Geld würde fließen. Jedoch ist die verbrachte Zeit beim Würstelmann fließend vorbeigegangen; dann ruft “meine” Arbeit, in der die Vokabel “Wurst” auch vorkommt. Allerdings eher aus phonetischen Gründen…

Die doppelte Biederkeit. Eindrücke aus dem Robert-Schumann-Haus in Zwickau

Der biederste Ort, den ich kenne, steht in Sichtweite meines Bürofensters mitten in Zwickau. Es ist das Robert-Schumann-Haus. Klar, das im Originalzustand erhaltene Gebäude stammt aus der Zeit des Biedermeier, ebenso wie – zumindest teilweise – Robert Schumanns Musik. Doch eine Musik vermag es viel mehr als Architektur, sich von ihrem Zeitgeist zu lösen. Sie lässt die Zukunft erahnen, etwas was in keine (Musik-)Geschichtsschreibung so richtig passt.

Die Polonaisen für Klavier zu vier Händen, die ich am 03.06.2018 im Zwickauer Schumann-Haus hörte, sind also keineswegs bieder. Nein, es ist das Ambiente, das kaum biederer sein kann, und das ist beileibe nicht nur der Architektur des 19. Jahrhunderts geschuldet.

Es ist vor allem das dünn gestreute Publikum:  Der extrem hohe Altersdurchschnitt – so wirkte es für mich jedenfalls, ist das eine, das andere die Merk-Würdigkeit, dass ein älterer Herr just beim Abgang der Künstler als Autogramm-Jäger ohne Taktgefühl auf die Bühne sprang und erfolglos etwas begehrte, was am besten auf dezente Art erhältlich ist. Kurz zuvor wurden, ohne Vorstellung von richtigem Timing, zwei junge Kinder vorgeschickt, um den Künstlern ein Buch- und Blumengeschenk überreichen. Die armen Kinder! Sie konnten hier einfach keine bella figura machen.

Zuvor war der durchaus gelungene Klaviervortrag im Pausengespräch völlig ins Abseits geraten. Ich trat aus dem düsteren Foyer ins sommerlich strahlende Freie und hörte zugleich hinter meinem Rücken einen Gast sagen: „Das ist Zwickau!“ Da musste ich mich umdrehen – quasi ins Gespräch hineingrätschen – und fragen: „Was ist mit der Stadt?“ Lapidare Antwort: „Ich weiß es auch nicht!“. Was dann folgte, war eine Abrechnung mit den Mitarbeitern im Robert-Schumann-Haus, die sich gewaschen hat. Man fühle sich hier wie „auf dem Dorf“; die von mir angesprochene, dargebrachte musikalische Fantasie würde nicht auf die Menschen überspringen, der Hausherr ohne passenden Anzug würde „wie auf dem Campingplatz“ herumspringen. Ja, das Verb „springen“ kam zweimal in unterschiedlichen Ausprägungen vor.  

Es stellte sich heraus, dass hier kein „Wessi“ sprach, sondern ein Bürger aus der „sterbenden“ Stadt Aue, ca. 30 km südlich von Zwickau. Seine Gattin war im Ton etwas konzilianter, zumindest als ich entgegnete, dass man doch mit Ironie, Humor und Leichtigkeit gut in Zwickau zurechtkommen könnte. Da konnte sie nicht widersprechen.

Die Suada entzündete sich wohl daran, dass es keine Häppchen und keine Getränke gab. Eine Konvention, die nun mal das Schumann-Haus auch mal über den Haufen wirft. Das spricht nicht unbedingt für Biederkeit. Doppelt bieder erschien mir im Umkehrschluss die Tatsache, dass am Rande des jährlich stattfindenden „Robert-Schumann-Festes“ solche Töne angeschlagen werden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man das Geschehen rund um die Musik anderswo noch mieser bewerten kann. Und dabei hörte ich sicher keine Ausnahme, es war einfach eine Kostprobe, wie in unserem Lande vom Leder gezogen wird. Man muss ein bieder wirkendes Haus ja nicht in höchsten Tönen loben, doch Kulturschaffende haben so eine Tonlage einfach nicht verdient.

Ich muss an Thomas Bernhards Holzfällen denken, wo der Erzähler gemütlich im Foyer unweit einer Festgesellschaft in seinem Ohrensessel vom Leder zieht. Ja, das ist genau die Art des Verschanzens, um Salven unentdeckt abzufeuern, ohne damit eine Wirkung auf der anderen Seite zu bewirken. Einfach mal stoßfeuern, könnte man sagen. Es ist erschreckend, dass kleine Petitessen gleich so aufgeblasen werden. Wir leben in dieser Sicht in einem Land der Extreme: Entweder wird alles in den Himmel hoch gelobt, oder es wird abgrundtief gestänkert! Dazwischen gibt es noch allerlei Varianten. Vor allem auch welche, die alles anderes als bieder klingen. 

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