Jedes Jahr bringt neue Jubiläen mit sich, und 2020 wird wohl jeder Klassikliebhaber ein oder mehrere Werke des Komponisten (wieder) anhören, der vor 250 Jahren geboren wurde. Leider wird die Forschung nie herausbekommen können, wie der stets innovativ komponierende Ludwig von Beethoven, der musikalisch seiner Zeit teils weit voraus war, zu seinen Lebzeiten als Solist in den (noch jungen) Vereinigten Staaten angekommen wäre. Man hätte ihm wohl mehr denn je zugejubelt!

Anfang Februar 2020 hörte ich in der Zwickauer Neuen Welt passend Musik aus der Neuen Welt (neben der sechsten Sinfonie von Anton Bruckner, die majestätisch die Alte Welt zum Glänzen bringt). Das 4. Sinfoniekonzert der Clara-Schumann-Philharmoniker Plauen-Zwickau wurde unter das Motto “Faktor Form” gestellt. Dementsprechend war das Konzertformat des Abends alles andere als gewöhnlich.

Besonders gespannt war ich auf John Adams‘ Werk Century Rolls für Klavier und Orchester, dessen Höreindruck mich in den Bann gezogen hat. Der junge Solist Frank Dupree meinte nach der Aufführung vor dem ebenfalls seiner Interpretation zugeneigten Publikum, dass dieses Klavierkonzert an jenem Abend erst zum dritten Mal in Deutschland zu hören gewesen sei. Unglaublich, wenn man bedenkt, dass es vor mehr als 20 Jahren uraufgeführt wurde! Century Rolls spielt auf zwei Elemente an, die in dem Werk hörbar gemacht werden: Zum einen das Jahrhundert mit seinen vielfältigen Musikstilen: Adams macht Musikgeschichte lebendig. Wer Erik Saties einzigartigen Minimalismus kennt, wird ihn im zweiten Satz mit dem Titel Manny’s Gym leicht heraushören. Und die vielen jazzigen Klänge lassen sich kaum herausfiltern, so schillernd sind sie!

Die „Rolls“ beziehen sich nicht auf Rock ‚n‘ Roll, sondern auf wirkliche Rollen, die mechanisch Klänge für selbst spielende Klaviere (Pianolas) erzeugten. Von dieser heutzutage altertümlich anmutenden Technik, die schon älter als ein Jahrhundert ist, ließ sich Adams inspirieren. Es gibt oft abrupte Wechsel von klanglichen „patterns“; dabei wollen die vielen unterschiedlichen Elemente nicht so recht zusammenpassen. Ob man sagen kann, dass die einzelnen „patterns“ einen großen „cluster“ ausprägen? Wie eine Klang-Rolle nur als Miniatur-Maschine zu verstehen ist, hört sich das Konzert wie ein stetiger Vorwärts-Gang mit einem gewissen Drehmoment an. Eine ausgeprägte Melodik wäre hier fehl am Platze. Die Beschreibung im Programmheft ist eindeutig:

Der Klavierpart, wie eine Walze um die eigene Achse rotierend, ist nicht nur durch die Tempi und Lagenwechsel kompromisslos, sondern vor allem durch das strikte Verbot, zwischen den Phrasen Atem zu holen. Das würde den mechanischen Charakter des Ganzen aufweichen.

Das Klavierkonzert wirkt uneinheitlich, eklektisch. So muss es einfach sein, wenn man das Jahrhundert musikalisch Revue passieren lässt. Eine Fotoshow  würde Ähnliches bewirken: keine Kontinuität, sondern Brüche, Zäsuren, in Klängen zum Schwingen gebracht.

Die drei Sätze lassen sich zum Glück vollständig ohne Bezahlschranke nachhören. In den Weiten des Internets gibt es jedoch nur diese eine Aufnahme mit dem Pianisten Emanuel Ax, für dessen pianistische Stärken das Werk vom Komponisten zugeschnitten wurde. Für alle Beteiligten ist die Aufführung eine immense Herausforderung. Routiniert kann wohl kein Musiker an diese vielfältigen Klangspuren herangehen, die im wahrsten Sinne des Wortes vertrackt sind.

Zum Nachhören: Century Rolls von John Adams: